Was ist das Rahmenkonzept?
Das Projekt Digitales Deutschland bündelt aktuelle Kompetenzmodelle und Studienergebnisse zur Medien- und Digitalkompetenz und schafft über ein Rahmenkonzept eine wissenschaftlich fundierte Grundlage dafür, diese in Bezug zueinander setzen zu können. In der inhaltlichen Auseinandersetzung werden sowohl die Bedarfe, Kompetenzen und Kompetenzanforderungen von verschiedenen Bevölkerungsgruppen, als auch die Gelingensbedingungen des Kompetenzerwerbs aufbereitet. Dabei fußt das Rahmenkonzept auf der grundlegenden Annahme, dass das Handeln mit Medien und digitalen Systemen nie kontextlos, sondern immer in Wechselwirkung zwischen Mensch, Medien und Gesellschaft zu betrachten ist.
In seiner Gesamtheit leistet das Rahmenkonzept einen Beitrag zur Betrachtung von Bedingungen einer souveränen Lebensführung in der mediatisierten Gesellschaft (Theunert & Schorb 2010, S. 253). Die Bestandteile des Rahmenkonzepts werden in der oben abgebildeten Grafik sichtbar: Im Fokus stehen die Menschen, die in unterschiedlichen Lebensphasen in verschiedenen Handlungssituationen mit Medien und digitalen Systemen in Kontakt kommen. Derartige Handlungssituationen können betrachtet werden mit Fokus auf:
die Subjekte (z.B. Alter, Geschlecht, sozioökonomischer Status, Vorwissen)
Tätigkeiten, bei denen sich dem Subjekt Kompetenzanforderungen stellen
das soziale Umfeld (z.B. Peer Group, Familie, Bildungseinrichtungen, Arbeitsplatz)
die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (z.B. Technologien und Infrastrukturen, Normen und Werte, öffentlicher Diskurs)
Die Struktur des Rahmenkonzepts ist auch in der Architektur der Projekt-Datenbank umgesetzt, in der aktuelle Studien und Modelle zur Medien- und Digitalkompetenz systematisch nach Altersgruppen, Kompetenzdimensionen und Anwendungskontexten aufbereitet und recherchierbar sind.
Die folgenden Abschnitte verschaffen einen kurzen Überblick über die Kernbegriffe und im Projekt angenommenen Prämissen zum Kompetenzbegriff und zu Kompetenzanforderungen. Der Volltext zum Rahmenkonzept kann hier abgerufen werden.
Was verstehen wir unter Kompetenz?
Das Verständnis von Kompetenz im Projekt Digitales Deutschland basiert auf einer Auseinandersetzung mit verschiedenen Definitionen. Kompetenzen beschreiben demnach Fähigkeiten und Fertigkeiten , die Subjekten, unter Rückgriff auf Wissensbestände und Erfahrungen sowie deren Reflexion, eine Orientierung im Handeln und das Umsetzen von Handlungen erlauben, mit denen die Subjekte an sich (selbst) gestellte Anforderungen selbstbestimmt und verantwortungsvoll bewältigen können. Strukturell ist diese Definition ähnlich der verbreiteten Definition von Franz E. Weinert (2003).
Welche Dimensionen von Kompetenz betrachten wir?
Unter Kompetenzdimensionen verstehen wir diejenigen Kompetenzbereiche, deren Zusammenspiel im (Medien-)Handeln relevant wird. Abstrahierend können sie in verschiedene Dimensionen gebündelt werden:
Instrumentell-qualifikatorische Dimension: Hier geht es um das Bedienen der digitalen Medien und Systeme, von der Haptik und Motorik bis zur Problemlösung bei und mit digitalen Systemen. Dazu gehört auch – wie im Frankfurt-Dreieck (2019) formuliert – eine Auseinandersetzung mit „informatischen und medialen Funktionsprinzipien digitaler Systeme“, beispielsweise informatische Modellierungen oder Algorithmen (Brinda et al. 2019).
Kognitive Dimension: Hier geht es um alles, was eine kognitive Auseinandersetzung mit Inhalten und Systemen betrifft, beispielsweise um Informationen, deren Suche, Auswahl, Verständnis und Beurteilung (vgl. auch Gapski et al. 2017, S. 23), aber auch um Medienwissen, Medialitätsbewusstsein (vgl. Groeben 2002) oder visuelle Kompetenz, die mit einer zunehmenden Visualisierung der (Medien-)Inhalte wieder stärker in den Vordergrund rückt (vgl. Röll, o.J.).
Affektive Dimension: Affektive Fähigkeiten beinhalten neben der Fähigkeit zur Stimmungsregulierung beziehungsweise Selbstregulation auch die Frage, ob Nutzer*innen die Emotionen, die sie mit den Medien erleben, verarbeiten können und ob sie fähig sind, empathisch zu handeln. Hierunter fallen auch alle Fähigkeiten oder Fertigkeiten, die das Subjekt braucht, um sich auf eine mediale Situation einzulassen (Involvement), sie genießen und sich entspannen zu können, die also eine Unterhaltungsfunktion erfüllen (Aufenanger 2018, S. 600).
Kreative Dimension: Kreative Fähig- und Fertigkeiten ermöglichen Medien nicht nur rezeptiv zu nutzen, sondern selbst zu gestalten. Sie können eingesetzt werden, um im Zuge der Gestaltung auch Produktionsprozesse und -bedingungen hinterfragen zu können. Hier geht es also um das selbstbestimmte, eigenständige (Neu-)Gestalten von digitalen Medien und Systemen, oder um das (Um-)Programmieren von digitalen Technologien. Das Kreative hat dadurch auch einen partizipativen Anteil.
Soziale Dimension: Gemeint sind Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für Kollaboration, Partizipation und für digitale Kommunikation zwischen Menschen und in Gruppen relevant sind. Hierzu zählt auch Konfliktlösefähigkeit und es gibt enge Verbindungen zur affektiven Dimension, da emotionale Kontrolle oder Empathie (Riesmeyer et al. 2016) notwendig sind. Diese sind beispielweise im Kontext von Cyber-Mobbing in Form von Exitstrategien relevant, um aus den Online-Konflikten wieder aussteigen zu können.
Kritisch-reflexive Dimension: Medienkritik ist hier zu verstehen als zentraler Bestandteil der gesellschaftlichen Handlungsfähigkeit der Subjekte unter dem Vorzeichen der Digitalisierung. Es geht um das Fähigkeitsbündel, digitale Medien und Systeme „kritisch in sozialer und ethischer Verantwortung für sich selbst und andere zu betrachten und zu bewerten“ (Theunert 2009, S. 202). Dies umfasst das kritische Auseinandersetzen mit und die Reflexion über die Inhalte und Bedingungen der Produktion von digitalen Medien und Systemen sowie der Einflüsse von digitalen Medien und Systeme auf die eigene Person (reflexiv) als auch auf die Gesellschaft (kritisch). Moralische und ästhetische Fähigkeiten, indem Medien und deren Produktion (beispielsweise Umweltverträglichkeit) unter ethischen und ästhetischen Gesichtspunkten beurteilt werden (Aufenanger 2018; Brüggen 2018) sind ebenfalls Teil der kritisch-reflexiven Fähigkeiten.
Was ist eine Kompetenzanforderung?
Kompetenzanforderungen sind konkrete, situations- und gegenwartsbezogene Anforderungen an das Subjekt, um in der mediatisierten und von Digitalisierung geprägten Lebenswelt handeln zu können. Sie zeigen sich im Alltag, wenn konkrete Probleme gelöst werden sollen, die sich dem Subjekt in unterschiedlichen Lebensbereichen (z.B. in Schule, Arbeit und Freizeit) stellen. Alltägliche Kompetenzanforderungen zeigen sich beispielsweise im Finden und Bewerten von Informationen, im Ausüben einer sozial verantwortlichen Kommunikation oder im Handeln mit Medien im Beruf (siehe Grafik).
Die fünf Prämissen des Rahmenkonzepts
Kompetenz ist subjekt- und handlungsbezogen: Ausgangspunkt bildet die Annahme eines handelnden und handlungsfähigen Subjekts und die Befähigung zur souveränen Lebensführung durch Entwicklung und Förderung von Kompetenz.
Kompetenz ist Voraussetzung, Prozess und Ergebnis: Im Rahmenkonzept wird beleuchtet, wie Kompetenz(en) entstehen, wie sie an das Handeln angebunden sind und dass sie sich mit zunehmender Erfahrung (weiter-)entwickeln können. Kompetenzen und Kompetenzerwerb sind eingebunden in einen fortlaufenden Prozess, wenn sich die Subjekte in Verhältnis zu Phänomenen des digitalen Wandels setzen und Aneignung sowie Reflexion des eigenen Handelns stattfindet.
Kompetenz setzt sich aus einem Bündel an Fähigkeiten und Fertigkeiten zusammen: Aus dem bislang ausgeführten folgt, dass Kompetenz ganzheitlich zu betrachten ist. Kompetentes Handeln erfordert stets ein Bündel an Fähig- und Fertigkeiten aus unterschiedlichen Bereichen (Theunert & Schorb 2010, S. 252).
Kompetenz wird in (sozialen) Interaktionen erworben: Kompetenzen werden primär durch (soziales) Handeln entwickelt und sind dadurch über (pädagogische) Handlungsfelder vermittelbar.
Kompetenzen und deren Erwerb können nicht ohne Kontext gedacht werden: Ob und welche Kompetenzen erworben werden, hängt sowohl von der Situation als auch vom Kontext ab. Kompetenz muss veränderbar sein, um sich den verschiedenen Kontexten, Handlungssituationen, aber auch der persönlichen Entwicklung anpassen zu können (Kaufhold 2006, S. 22-24). Diese Kontextgebundenheit des Kompetenzbegriffs findet sich in vielen medienpädagogischen Modellen zur Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen wieder (vgl. z.B. Baacke 1996; Schorb 2005; Theunert 2015; Tulodziecki 2016) und ist auch im Rahmenkonzept berücksichtigt.
Warum sprechen wir von digitalen Medien und Systemen?
Medien- und Technologieentwicklung wird nicht nur als technisches, sondern explizit als soziales Geschehen verortet (vgl. Schorb & Theunert 2010, S. 247). Der genutzte Medienbegriff muss konkret und zugleich offen für zukünftige Entwicklungen im Bereich der digitalen (Medien-)Technologien sein. Viele Anwendungen – vom Fahrscheinautomaten, über das Navigationssystem im PKW bis hin zu digitalen Medien, wie der Zeitung auf dem E-Book-Reader – sind in ihren Spezifika digital-vernetzter Informationsverarbeitung kaum wahrnehmbar, da die Digitaltechnik zumindest für ihre alltäglichen Nutzer*innen die „Komplexität und die Form ihrer eigenen Struktur verbirgt“ (Nassehi 2019, S. 209). Damit stellt sich mitunter die Frage, wie tiefgehend das Wissen und die Fähigkeiten bezüglich digitaler Medien und Systeme auf der informatorischen Ebene sein müssen, um eine souveräne Lebensführung gewährleisten zu können, oder ob hier auf kollektiver Ebene angesetzt werden muss. Für diese und weitere Fragestellungen dieser Art bietet das Rahmenkonzept eine fundierte Orientierungshilfe.
Literatur
Literatur
Aufenanger, S. (2018). Medienkompetenz. In O.-A. Burow & S. Bornemann (Hrsg.), Das große Handbuch Unterricht & Erziehung in der Schule: Handlungsfeld Unterricht und Erziehung (S. 596–614). Köln: Wolters Kluwer.
Baacke, Dieter (1996). Medienkompetenz als Netzwerk. Reichweite und Fokussierung eines Begriffs, der Konjunktur hat. Medien praktisch, 20(2), S. 4-10.
Brinda, T., Brüggen, N., Diethelm, I., Knaus, T., Kommer, S., Kopf, C., Missomelius, P., Leschke, R., Tilemann, F. & Weich, A. (2019). Frankfurt-Dreieck zur Bildung in der digital vernetzten Welt. Ein interdisziplinäres Modell. Online verfügbar unter: https://www.keine-bildung-ohne-medien.de/wp-content/uploads/2019/07/Frank furt-Dreieck-zur-Bildung-in-der-digitalen-Welt.pdf (6.1.2020)
Brüggen, N. (2018). Medienaneignung und ästhetische Werturteile: Zur Bedeutung des Urteils ‚Gefällt mir!‘ in Theorie, Forschung und Praxis der Medienpädagogik. Reihe Medienpädagogik: Bd. 22. kopaed.
Gapski, H., Oberle, M. & Staufer, W. (Hrsg.) (2017). Medienkompetenz. Herausforderung für Politik, politische Bildung und Medienbildung (Bd. 10111). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
Groeben, N. (2002). Dimensionen der Medienkompetenz: Deskriptive und normative Aspekte. In N. Groeben & B. Hurrelmann (Hrsg.), Medienkompetenz. Voraussetzungen, Dimensionen, Funktionen (S. 160-197). Weinheim: Juventa.
Kaufhold, M. (2006). Kompetenz und Kompetenzerfassung. Analyse und Beurteilung von Verfahren der Kompetenzerfassung. Wiesbaden: VS Verlag.
Riesmeyer, C., Pfaff-Rüdiger, S. & Kümpel, A. (2016). Wenn Wissen zu Handeln wird: Medienkompetenz aus motivationaler Perspektive. Medien & Kommunikationswissenschaft, 64(1), S. 36–55.
Röll, F. J. (o.J.). Meinungen und Positionen zu „Medienkompetenz“ – Interview mit dem Grimme Institut. Online verfügbar unter https://www.grimme-institut.de/interviews/ (6.1.2020)
Schorb, B. (2005). Medienkompetenz. In J. Hüther & B. Schorb (Hrsg.), Grundbegriffe Medienpädagogik (S. 257-262). München: kopaed.
Theunert, H. & Schorb, B. (2010). Sozialisation, Medienaneignung und Medienkompetenz in der mediatisierten Gesellschaft. In M. Hartmann & A. Hepp (Hrsg.), Die Mediatisierung der Alltagswelt (S. 243-254). Wiesbaden: VS.
Theunert, H. (2009). Medienkompetenz. In B. Schorb, G. Anfang & K. Demmler (Hrsg.) (2009), Grundbegriffe der Medienpädagogik. Praxis (S. 199-204). München: kopaed.
Theunert, H. (2015). Medienaneignung und Medienkompetenz in der Kindheit. In F. von Gross, D. Meister & U. Sander (Hrsg.), Medienpädagogik – ein Überblick (S. 136–163). Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Tulodziecki, G. (2016). Aktuelle Debatten beim GMK-Forum 2015 im „Rückspiegel“: Welchen Lösungsbeitrag können medienpädagogische Grundlagen leisten? In M. Brüggemann, T. Knaus & D. Meister (Hrsg.), Kommunikationskulturen in digitalen Welten: Konzepte und Strategien der Medienpädagogik und Medienbildung; Schriftenreihe Schriften zu Medienpädagogik (S. 83–98). München: kopaed.
Weinert, F. E. (2003). Leistungsmessung in Schulen. Weinheim, Basel: Beltz.