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E-Government braucht E-Kompetenzen

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E-Government braucht E-Kompetenzen

E-Government und die Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland scheinen eine Mammutaufgabe zu sein. Immer wieder lernen wir, dass Deutschland nicht vorankommt und im Mittelfeld verharrt. Der große Durchbruch will nicht gelingen. Ein Schlüssel liegt in konsequentem Daten- und Prozessmanagement, um die strukturellen Voraussetzungen zu schaffen. Ungleich wichtiger aber ist es, die Bediensteten fit zu machen für die digitale Transformation, denn sie müssen sie am Ende umsetzen.

E-Government – kein neues Thema

Spätestens seit dem bundesweiten Projekt BundOnline2005, das im Jahr 2000 initiiert wurde, arbeiten wir in Deutschland an der Einführung und Umsetzung von E-Government (vgl. u. a. Kommune21 2005) [1] . Kernslogan der damaligen Initiative war: „Die Daten sollen laufen, nicht die Bürger.“ Auch wenn hier augenscheinlich die Daten sehr in den Mittelpunkt gestellt wurden, ist und war immer klar, dass die Daten nur laufen können, wenn die Prozesse dazu passen. Dies wird unter anderem auch in der viel zitierten Definition von Jörn von Lucke und Heinrich Reinermann deutlich: „Unter Electronic Government verstehen wir die Abwicklung geschäftlicher Prozesse im Zusammenhang mit Regieren und Verwalten (eGovernment MONITOR 2022) [2] mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechniken über elektronische Medien“ (von Lucke/Reinermann 2000, S. 1) [3] .

Viele weitere Initiativen zur Digitalisierung der Verwaltungsdienstleistungen folgten in den darauffolgenden Jahren. Im Jahr 2013 beschloss der Bund das E-Government-Gesetz, korrespondierende Landesgesetze folgten. Aktuell treibt das Onlinezugangsgesetz (OZG) die Bestrebungen der Verwaltungsdigitalisierung voran. Durch den Umsetzungsdruck, den E-Government-Gesetze und vor allem das OZG durch ihre Gesetzeskraft bringen, sind viele Verwaltungen intensiv mit der Digitalisierung befasst. Dies geschieht aus verschiedenen Antrieben heraus. Beispielsweise hat die Coronazeit mit vielfältiger Notwendigkeit zu Homeoffice oder digitaler Kontaktaufnahme gezeigt, dass digitales Arbeiten quasi von heute auf morgen notwendig ist und möglich sein muss – und meistens auch funktioniert. Ferner treiben weitere Umsetzungsfristen, z. B. zur Einführung der E-Akte, die Digitalisierung voran.

Basis und Voraussetzung für die Digitalisierung des öffentlichen Sektors

Es wird also deutlich: Sowohl Daten als auch Prozesse spielen eine zentrale Rolle, wenn es um die Digitalisierung des öffentlichen Sektors geht.

Dass gut gemanagte Prozesse essenzielle Basis und Voraussetzung für die Digitalisierung des öffentlichen Sektors sind, ist inzwischen weitgehend anerkannt. Die strukturierte Erfassung von Geschäftsprozessen schafft die Basis für Transparenz über die für die Veränderung und Optimierung von Organisationen relevanten Aspekte. Für eine ganzheitliche Verbesserung von Verwaltungsprozessen und eine durchgängige Digitalisierung vom Anfang bis zum Ende sind dies essenzielle Voraussetzungen.

Verwaltungshandeln basiert ebenso essenziell auf vorliegenden Daten. Mit der Digitalisierung der Prozesse geht natürlich auch die Digitalisierung der Datenbestände einher. Auch hier gibt es zahllose Projekte und Initiativen, die dabei helfen sollen, Datenbestände zu vereinheitlichen bzw. einheitlich nutzbar und wiederverwendbar zu machen. Beispielhaft sei hier das Once-Only-Prinzip genannt (vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat 2022) [4] . Die Grundidee ist klar: Daten, die einmal von der öffentlichen Hand erhoben wurden, müssen Bürger*innen dem Staat nicht noch einmal mitteilen, diese sind ja schon vorhanden und sollen wiederverwendet werden. Dass dies in einem föderalen Staat wie Deutschland, mit seiner Größe, seiner Komplexität und seiner sehr großen Affinität zum Datenschutz und zur Datensicherheit eine besonders große Herausforderung ist, ist offensichtlich. Klar ist: Neben einem guten Prozessmanagement braucht es auch ein gutes Datenmanagement, um das große Potenzial, das dadurch vorhanden ist, vollumfänglich zu nutzen, Register zu harmonisieren und Datenaustausch möglich zu machen. Dass es geht, sieht man nicht nur in kleinen Staaten wie Estland oder in den skandinavischen Ländern, sondern auch im strukturell ähnlichen, föderalen Österreich: Hier wird das Kindergeld – ohne vorherigen Antrag – automatisch überwiesen. Dafür gibt das Krankenhaus, in dem das Kind geboren wurde, die Geburtsdaten zusammen mit den Daten der Eltern an die zuständige Behörde weiter.

Chancen und Herausforderungen

Es wird also deutlich: E-Government bzw. die digitale Transformation, die wir aktuell durchlaufen, bietet vielfältige Chancen und Herausforderungen.

Organisatorisch bieten sich vor allem durch konsequent digital gedachte Prozesse und korrespondierend dazu gut strukturierte und vorgehaltene Datenbestände enorme Effizienz- und Effektivitätspotenziale und Chancen für die Verschlankung von Verwaltungsstrukturen und -abläufen. Die Vision der laufenden Daten, die bereits vor über zwanzig Jahren formuliert wurde, kann nur Realität werden, wenn wir diese Potenziale konsequent nutzbar machen.

Soziokulturell geht es in diesem Zusammenhang vor allem um Fragen der Akzeptanz und des Vertrauens. Diese betreffen sowohl die Innenperspektive der Mitarbeitenden als auch die Außenperspektive hin zu den Bürger*innen sowie Unternehmen. In der neuesten Ausgabe des eGovernment MONITOR stellen die Befragten den deutschen Verwaltungen hier ein schlechtes Zeugnis aus und bescheinigen „[b]esonders wenig Zutrauen […] in die Leistungsfähigkeit des deutschen Staates“ (vgl. eGovernment MONITOR 2022, S. 39). Dies ist ein Grunddilemma, dass wir Deutschen dem Staat ein verhältnismäßig niedriges Grundvertrauen entgegenbringen. Gleichzeitig muss man hier optimistisch die Chancen, die der technologische Fortschritt bietet, sehen und ergreifen und durch sehr gute Dienstleistungen überzeugen. Das technische Potenzial ist vorhanden, das die Möglichkeit bietet, die Zielgruppen der Dienstleistungen mit Qualität zu überzeugen. Ferner liegt eine Chance im demografischen Wandel begründet: Die Nutzung von digitalen Dienstleistungen ist für die jüngeren Generationen vollkommen selbstverständlich.

Technisch zeichnet sich Deutschland durch einen besonderen Flickenteppich aus. Bund, Länder, Kommunen und viele andere behördliche Instanzen entwickeln eigene Lösungen für immer gleiche Leistungen, und trotz vieler Appelle erfinden wir so das Rad noch einmal und noch einmal. Denn auch wenn die Einsicht, dass Verwaltungen strukturell ähnlich sind und mehr als 10.000 Kommunen in Deutschland gleiche Dienstleistungen erbringen, durchaus vorhanden ist, ist der konsequente Wille, zentrale IT-Lösungen zu schaffen, nach wie vor nicht erkennbar. Gleichzeitig bietet gerade die immer besser werdende Technologie, besonders wenn sie korrespondierend mit guten Prozess- und Datenstrukturen entwickelt und eingeführt würde, ein enormes, fast schon unschätzbares Potenzial für E-Government.

Schlussendlich hat auch die rechtliche Perspektive eine gewichtige Bedeutung. Nach wie vor vorhandene Schriftformerfordernisse und der in Deutschland sehr bedeutsame Datenschutz, beispielsweise bei der Verarbeitung von Daten, sind herausfordernde, limitierende Faktoren, die es abzubauen gilt. Auf der einen Seite betonen wir sehr die rein zweckbezogene Erfassung und Speicherung von Daten, auch durch die Behörden, auf der anderen Seite wünschen wir uns, dass der Staat uns nicht immer wieder nach den gleichen Informationen fragt. Wenn das volle Potenzial beispielsweise des Once-Only-Prinzips voll umgesetzt werden soll – und hier liegt eine große Chance in der komfortableren Erbringung von Services –, müssen wir pragmatischer in der Umsetzung beispielsweise der DSGVO werden.

Am Ende sind es die Bediensteten, die es umsetzen müssen

Diese tiefgreifende digitale Transformation mit all ihren Herausforderungen und Chancen wirkt sich intensiv auf das Arbeitsumfeld im öffentlichen Dienst aus: Die Potenziale der Digitalisierung müssen und sollen genutzt werden, um die Nähe zu Bürger*innen herzustellen sowie Effizienz und Effektivität staatlichen Handelns zu verbessern. Viele Verwaltungen arbeiten derzeit an der Digitalisierung, auch wenn vieles leider noch im Klein-Klein bleibt und der ganz große Wurf wieder nicht zu gelingen scheint.

Die Vielzahl und Vehemenz der Veränderungen, die durch den IT-Einsatz in Staat und Verwaltung anstehen, erfordern zwingend neue Kompetenzen bei allen Beschäftigten, gleich ob Fach- oder Führungskraft, IT-Personal oder IT-Nutzer*innen. Das Bündel an erforderlichen neuen Kompetenzen, das für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltungen benötigt wird, kann mit Begriffen wie „Medienkompetenz“ oder „IT-Kompetenz“ nicht umfassend bezeichnet werden, auch wenn es zentrale Elemente der Kompetenzbündel sind (vgl. Digitales Deutschland 2020) [5] . Denn zusätzlich zur persönlich-instrumentellen Dimension des Umgangs mit IT bzw. elektronischen Inhalten ist auch die integrierte Gestaltung von Recht, Organisation und Technik sowie die Anpassung der Führungstätigkeit insbesondere in der Anwendungsdomäne der öffentlichen Verwaltung zu betrachten. Um es auf den Punkt zu bringen: Es geht bei E-Kompetenzen nicht nur um das reine Bedienen von IT, also die Fähigkeit, in einem IT-System zu arbeiten – das greift deutlich zu kurz. Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ist keine IT-Frage – bei aller Herausforderung, gute Technik zu entwickeln, können wir das – es ist vielmehr eine Organisations- und Managementaufgabe, die entsprechendes Verständnis und entsprechender Fähigkeiten bedarf. Digital verfügbare Daten und Abläufe bieten enorme Potenziale, Dienstleistungen für Bürger*innen ganzheitlicher, datenbasiert und proaktiv(er) zu erbringen. Die Organisation und Kommunikation im Alltag wandeln sich massiv, örtliche und zeitliche Flexibilität werden erwartet, Führung muss komplett anders stattfinden, gewohnte, ausgetretene Pfade müssen verlassen werden. Die Bediensteten benötigen selbstverständlich auch sehr IT-orientierte, neue Fähigkeiten. Sie müssen wissen, wie die Technik funktioniert, um sie anwenden und beherrschen zu können, keine Frage. Aus der Perspektive der Organisation aber müssen Rollen und Fähigkeiten aufgebaut werden, die Verwaltungen in die Lage versetzen, Innovationen und Veränderungen zu managen und zu verstehen, welche Implikationen mit den Potenzialen der digitalen Welt verbunden sind und wie diese nutzbar gemacht werden können. Changemanager*innen, Prozessmanager*innen oder auch Chief Information Officer (CIO) oder Chief Digital Officer (CDO) als für die Digitalisierung zuständige Führungskräfte sind vonnöten. Diese Positionen müssen eingerichtet werden, um die gesamte Organisation mitzunehmen auf den Weg in die digitalisierte Welt. Denn nur, wenn solche Rollen in die Fläche gebracht werden, beispielsweise durch die konsequente Einführung von Digitallotsen (vgl. Benz/Habbel 2019) [6] , die im Verbund mit entsprechenden Führungskräften den Geist einer digitalen Verwaltung in die Fläche tragen, wird es gelingen, den Bediensteten ein Verständnis und ein Gefühl dafür zu vermitteln, welche Potenziale in digitalisierten Prozessen und digital verfügbaren Daten liegen und wie diese auch über einzelne Prozesse hinaus für die Menschen nutzbar gemacht werden können. Schaffen wir es, unseren Bediensteten diese Fähigkeiten zu vermitteln, werden sie in der Lage sein, effizient, digital und datengestützt wirklich serviceorientiert für die Bürger*innen da zu sein. Dass die Bürger*innen ebenso in der Lage sein müssen, durch entsprechende Kompetenzen, insbesondere kognitiv, aber auch instrumentell-qualifikatorisch (vgl. Digitales Deutschland 2020, S. 5), die Dienstleistungen digital anzustoßen und wahrzunehmen, ist für den ganzheitlichen Erfolg von E-Government unerlässlich. Denn was nützt es, wenn wir die öffentlichen Verwaltungen digital aufstellen und fit machen, aber am Ende keiner die digitalen Dienste nutzt?

Literatur

    1. Kommune 21 (2005). BundOnline 2005 offiziell am Ziel. E-Government-Initiative. https://www.kommune21.de/meldung_4724_BundOnline+2005+offiziell+am+Ziel.html. [Zugriff: 24.11.2022]
    2. von Lucke, Jörn/Reinermann, Heinrich (2000). Speyerer Definition von Electronic Government. Ergebnisse des Forschungsprojektes Regieren und Verwalten im Informationszeitalter. Online-Publikation Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung bei der deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. https://www.joernvonlucke.de/ruvii/Sp-EGov.pdf [Zugriff: 24.11.2022]
    3. eGovernment MONITOR (2022). Nutzen und akzeptieren Bürger*innen die digitale Verwaltung? Die deutschen Bundesländer, Deutschland, Österreich und die Schweiz im Vergleich. https://initiatived21.de/app/uploads/2022/10/egovernment_monitor_2022.pdf [Zugriff: 24.11.2022]
    4. Bundesministerium des Innern und für Heimat (2022). Onlinezugangsgesetz. https://www.onlinezugangsgesetz.de/SharedDocs/faqs/Webs/OZG/DE/servicestandard/nutzerzentrierung-faqs/4-once-only-prinzip.html [Zugriff: 24.11.2022]
    5. Digitales Deutschland (2021). Rahmenkonzept. JFF – Institut für Medienpädagogik.   https://digid.jff.de/wpcontent/uploads/2021/06/Rahmenkonzept_DigitalesDeutschland_Vollversion.pdf [Zugriff: 24.11.2022]
    6. Benz, Ilona/Habbel, Franz-Reinhard (2019). Digitallotsen: Ein Steuermann für jedes Rathaus. https://kommunal.de/digitallotsen-ein-steuermann-fuer-jedes-rathaus [Zugriff: 24.11.2022]

Zitation

Räckers, M. 2022: E-Government braucht E-Kompetenzen. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar: https://digid.jff.de/magazin/daten/e-government/.

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