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Von Datenbergen der Zukunft und würdevollem Altern

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Von Datenbergen der Zukunft und würdevollem Altern

Die deutsche Bevölkerung wird älter (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2021) [1] und die Digitalisierung aller Lebensbereiche schreitet unaufhaltsam voran – das sind zwei Fakten, die ein immer größer werdendes Problemfeld erzeugen: den „Grey Digital Divide“.

Datenberge

Wagt man einen Blick in die Zukunft, muss man sich die Augen reiben: Das Volumen der im Jahr 2025 voraussichtlich erstellten und replizierten Daten wird sich gemäß einer Einschätzung von statista.com [2] im dreistelligen Zettabytebereich [3] bewegen. Die Zahlen sind so astronomisch groß, dass die Menschen anfangen, magisch-mythische Verheißungen mit ihnen zu verbinden. Paradigmatisch hier der mit dem Lesen von Metadaten verbundene Blick in die Zukunft: „Epidemien, Marktprodukte und Verbrechen lassen sich […] immer besser vorausberechnen. Grund sind exponentiell steigende Datenmengen, die immer preiswerter gespeichert und mit gigantisch wachsender Rechenpower immer schneller verarbeitet werden können. Es sind nicht nur die Daten, die viele Millionen von Nutzer*innen in Informations- und Kommunikationsnetzen hinterlassen. Bücher, Musik, Fotografien und Videos gehören ebenso dazu wie Telefonanrufe oder Navigationssysteme unserer Fahrzeuge. Im Internet der Dinge (Microsoft 2020) [4] beobachtet die Welt sich selber und produziert über Sensoren Milliarden von Dateneinheiten. Informationskonzerne wie z. B. Google und Facebook vermessen damit die Welt, berechnen Persönlichkeitsprofile und bestimmen unsere Zukunft (Mainzer 2014) [5] . Und das wird sich über die nächsten Jahre immer weiter intensivieren: „The data-driven world will be always on, always tracking, always monitoring, always listening, and always watching“ (Sorensen et al. 2022) [6] .

Sensoren, Filter und Profile

Das entscheidende Wort ist hier das „always“. Gerade für Menschen im höheren Lebensalter ist diese substanzielle Veränderung eine Herausforderung. Die Gewohnheit auszuschalten kollidiert mit der inneren Formbestimmtheit der digitalen Wegbegleiter. Letztere werden zur permanenten Nutzung konstruiert. Viele trauen dem Smartphone im Always-on-Modus jedoch nicht so recht. Und das hat seinen berechtigten Grund: Evgeny Morozov et al. (2016) [7] zufolge führt der Mensch ein Leben inmitten des Dreigespanns aus „Sensoren, Filtern und Profilen“ (Morozov et al. 2016). Er betont, dass der Einzelne neben den vielfältigen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und der Kommunikation eben auch digital determiniert wird, und zwar in dem Maße, wie die Bestandteile seiner technischen Umwelt programmiert sind. Das führt zu einem Lebensmodus der potenziellen Überwachung (über Sensoren) und der Datenspeicherung (in Form von Profilen). Die Filter, allen voran der Google-Algorithmus, stellen zwar die Möglichkeit bereit, auf schnelle und reichhaltige Suchergebnisse zuzugreifen, geben aber bekanntermaßen eine hierarchisierte Auswahl vor, die den Einzelnen wiederum limitiert. Inmitten seiner sich immer hermetischer technisierten Umgebungen gleicht der Mensch sich über die digitalen Dienstleister immer weiter einer Art nivelliertem Bewusstsein an. Den wesensgleichen Benutzeroberflächen, den Suchmaschinen und den sozialen Portalen steht der Einzelne gegenüber wie einer neuen Architektur eines digitalen Gebäudes, das ihn umgibt und einschließt.

Würdevolles Altern

Doch wie fühlt sich der ältere Mensch bei der Vermessung seines Lebens? Vieles erzeugt Unsicherheit, was Menschen in jüngeren Lebensphasen womöglich positiv konnotieren: Unverbindlichkeit, Instantaneität, die Möglichkeiten des permanenten Zugriffs, der Suchbarkeit und der einfachen Streichbarkeit (Verteilung), dem sich stets erneuernden Content in „real-time“ [8] . Die unbeantwortete Textnachricht, das aus Versehen bestätigte Bestellformular, Spammails – die Schattenseiten der Digitalisierung machen keinen Halt vor dem Alter. Der „grey digital divide“ (vgl. Mubarak/Suomi 2022 [9] ) [10] findet statt und ist für viele Betroffene ein alltägliches Hindernis. Es stellt sich gerade hier die Frage, wo die Reise mit der Digitalisierung aller Lebensbereiche hingehen soll. In der Studie „Old-Age Digital Exclusion as a Policy Challenge in Estonia and Finland“ heißt es hierzu: „Value orientation is also key to designing digital solutions. It includes the basic question of what kind of social actors older people are perceived to be. A dignified old-age is a human right” (Leppiman et al. 2021) [11] . Das würdevolle Altern ist ein Menschenrecht auch in Zeiten des Medienumbruchs. Theorien zum „Grey Digital Divide“ gehen von einer strukturellen Exklusion älterer Menschen in Digitalisierungsfragen aus. Hier sollte Forschung ansetzen und Forderungen nach altersgerechten digitalen Lösungen formulieren.

Literatur

  1. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2021). Aktiv im Alter. Daten und Fakten zum Leben älterer Menschen. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/aeltere-menschen/aktiv-im-alter/daten-und-fakten-zum-leben-aelterer-menschen/daten-und-fakten-zum-leben-aelterer-menschen-77120 [Zugriff: 15.11.2022]
  2. Statista (2021). Volumen der jährlich generierten/replizierten digitalen Datenmenge weltweit in den Jahren 2012 und 2020 und Prognose für 2025. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/267974/umfrage/prognose-zum-weltweit-generierten-datenvolumen/ [Zugriff: 15.11.2022]
  3. Ein Zettabyte ist eine Maßeinheit für Speicherkapazität und steht für 1021 – also 1.000.000.000.000.000.000.000 – Bytes, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/267974/umfrage/prognose-zum-weltweit-generierten-datenvolumen/ (15.11.22)
  4. Microsoft (2020). Microsoft erklärt: Was ist das Internet of Things? Definition & Funktionen von IoT. https://news.microsoft.com/de-at/microsoft-erklart-was-ist-das-internet-of-things-definition-funktionen-von-iot/ [Zugriff: 15.11.2022]
  5. Mainzer, Klaus (2014). Die Berechnung der Welt. Von der Weltformel zu Big Data. München: C.H. Beck.
  6. Sorensen, Vibeke/Lansing, John Stephen/Thummanapalli, Nagaraju/Cambria, Erik (2022). Mood of the Planet: Challenging Visions of Big Data in the Arts. In: Cognitive Computation, 14(1), S. 310-321. doi: 10.1007/s12559-020-09766-w
  7. Morozov, Evgeny/Thierse, Wolfgang/Schäfer-Gümbel, Thorsten/Gerhardt, Volker/Joost,Gesche/Bussemer, Thymian (2016). Eine humane Gesellschaft durch digitale Technologien? Essen: Klartext.
  8. Vgl. die „Affordanzen“ der „networking teens“ nach Danah Boyd: It’s Complicated: The Social Lives of Networked Teens, 2014, S. 11.
  9. Mubarak, Farooq/Suomi, Reima (2022). Elderly Forgotten? Digital Exclusion in the Information Age and the Rising Grey Digital Divide, In: The Journal of Health Care Organization, Provision, and Financing, 59, S. 1-7.  doi: 10.1177/00469580221096272 [Zugriff: 15.11.2022]
  10. Die Studie betont die Vielschichtigkeit der Problematik des „grey digital divide“. Sie wird als eine politische „multi-level challenge“ angesehen. https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/00469580221096272
  11. Leppiman, Anu/Riivits-Arkonsuo, Iivi/ Pohjola, Anneli (2021). Old-Age Digital Exclusion as a Policy Challenge in Estonia and Finland. In: Walsh, Kieran/Scharf, Thomas/Van Regenmortel, Sofie/Wanka, Anna (Hrsg.) Social Exclusion in Later Life. Interdisciplinary and Policy Perspectives. Cham: Springer, S. 409 – 419.
  12. Boyd, Danah (2014). It’s Complicated: The Social Lives of Networked Teens. New Haven: Yale University Press.

Zitation

Schmitt, P. 2022: Von Datenbergen der Zukunft und würdevollem Altern. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar: https://digid.jff.de/magazin/daten/daten-altern/.

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