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Welche Datenkompetenz darf es bitte sein? Ein Blick auf Kompetenzmodelle zum Umgang mit Daten

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Welche Datenkompetenz darf es bitte sein? Ein Blick auf Kompetenzmodelle zum Umgang mit Daten

Schon wieder gibt es neue. Und schon wieder zeigen sie, wie ernst die Lage ist. Aber als kompetente*r Mediennutzer*in weiß ich: Was ich sehe, will mir jemand zeigen. Sie sind gemacht. Sie zeigen auch nicht das „big picture“, sondern einen Ausschnitt aus der Realität. Sie sind kein „Abbild“ der Realität, sondern ein Selektionsergebnis – eine Hervorhebung. Und ich sollte mir immer die Frage stellen, wer mir was warum damit sagen will.

Ob es hier um Bilder oder Daten geht, ist zum Einstieg bewusst offengehalten. Beides könnte mit der beschriebenen Situation gemeint sein. Geht es also um Bild- oder Datenkompetenzen? Während Bilder zum klassischen Themenfeld der Medienpädagogik zählen, ist dies bei Daten nicht unbedingt so eindeutig. Aber offenbar sind einige der sich heute mit Blick auf digitale Daten stellenden Kompetenzanforderungen anschlussfähig in der medienpädagogischen Kompetenzdiskussion. Zugleich steht außer Frage, dass die Art und Weise, wie heute digitale Daten verwendet werden (können), auch gänzlich neue Kompetenzanforderungen stellt.

Auf diese Diskussion sollen im Folgenden vor dem Hintergrund des Rahmenkonzepts zu Medien- und Digitalkompetenzen aus dem Projekt „Digitales Deutschland“ Schlaglichter geworfen werden. Das Rahmenkonzept stellt eine strukturierte Bündelung vorliegender Kompetenzmodelle mit vorrangig medienpädagogischem Hintergrund dar und ist die Grundlage im Projekt, Weiterentwicklungen im Hinblick auf neue Kompetenzanforderungen angesichts des digitalen Wandels aufzugreifen.

Daten im Kontext der Informationsverarbeitung und als Herausforderung für den Medienbegriff

Modelle, die Kompetenzen (oder Literacies) in Bezug auf Daten formulieren, kommen neben der Medienpädagogik vor allem aus der Informatik. Aus informatischer Perspektive liegt der Fokus auf den verschiedenen Möglichkeiten, mit Daten umzugehen und diese im Kontext der automatisierten Informationsverarbeitung nutzbar zu machen. Nach einer verbreiteten Definition von „Data Literacy“ geht es dabei um „die Fähigkeit, Daten zu sammeln, zu verwalten, zu bewerten und zu nutzen, und zwar in einer kritischen Weise“ ​(Ridsdale et al. 2015, S. 2) [1] ​ (siehe hierzu im Monitoring Cwielong et al. 2021) [2] . Die Auseinandersetzung mit Daten erscheint dagegen in medienpädagogischen Texten etwas herausfordernder. Denn zunächst wäre zu klären, wie Daten im Verhältnis zum Medienbegriff einzuordnen sind, was sich als nicht trivial herausstellt. Wenn allerdings ungeachtet dessen diejenigen Kompetenzen fokussiert werden, die im Medienhandeln eine Rolle spielen, gerät zunächst nur ein Teilbereich derjenigen Kompetenzen in den Blick, die aus informatischer Perspektive betrachtet werden. Klassischerweise geht es dann um Daten, die in Medien präsentiert werden (siehe oben), oder um solche, die im Zuge des Medienhandelns entstehen, und ggf. Einblicke in die Persönlichkeit geben sowie von Dritten genutzt werden können. Reflektiert wird dabei aber auch der Konstruktionscharakter von Daten – also die Tatsache, dass diese mit bestimmten Interessen gemacht werden (wie Medien ja auch). Deutlich wird gerade mit dem letzten Punkt die Frage gestellt, welche gesellschaftlichen Wandlungsprozesse und veränderten Machtkonstellationen mit dem Umgang mit Daten verbunden sind. Damit wird ein Bereich fokussiert, der in den erstgenannten Kompetenzmodellen weniger prominent verankert ist. Ein Hauptunterschied ist dabei, dass medienpädagogische Modelle klassischerweise vom Bezugspunkt des kommunikativen Handelns mit digitalen Medien auf den Gegenstand blicken, wohingegen in der Informatik digitale Informationssysteme im Fokus stehen. Das bringt die oben skizzierten Konsequenzen für die entwickelten Kompetenzmodelle mit sich. Im Rahmenmodell wird deshalb das Handeln in und mit Medien und digitalen Systemen in den Fokus gerückt (siehe auch Brinda et al. 2020).

Zieldimensionen in der Kompetenzmodellierung in Bezug auf Daten

Mit der oben zitierten Definition von Data Literacy wurden bereits Kompetenzen im Bereich der Datensammlung, der Datenverwaltung, der Datenbewertung wie auch der Datennutzung angesprochen. In mehreren Modellierungen finden sich derartige analytische Unterscheidungen unterschiedlicher datenbezogener Tätigkeiten. So auch im „Future Skills Framework für Data Literacy“ ​(Schüller et al. 2019) [3] ​. In diesem Modell werden diejenigen Aufgaben als kompetenzdefinierend angesehen, die eine Wertschöpfung aus Daten ermöglichen. Wertschöpfung meint dabei, Wissen zu generieren. Dabei wird unterschieden zwischen Prozessen, die von kodierenden Akteuren und von dekodierenden Akteuren verantwortet werden. Bei den Kodierungsprozessen geht es darum, (1) messbare Objekte zu identifizieren, (2) Datenstrukturen zu definieren und Daten zu erheben sowie (3) Visualisierungen und Datenprodukte zu erstellen. Bei den Dekodierungsprozessen geht es darum, (4) den Übersetzungscode zu entschlüsseln, (5) mentale Repräsentationen der Objekte abzuleiten und (6) mentale Repräsentationen des Systems zu erstellen ​(ebd., S. 23)​. Korrespondierend mit diesen Prozessschritten werden sechs Kompetenzfelder formuliert (siehe Abb. 1): (A) Datenkultur etablieren, (B) Daten bereitstellen, (C) Daten auswerten, (D) Ergebnisse interpretieren, (E) Daten interpretieren, (F) Handeln ableiten ​(ebd., S. 34)​.

Interessant ist, dass bei dieser Kompetenzmodellierung bereits verschiedene Rollen der beteiligten Akteure angenommen werden. So wird zwischen denjenigen unterschieden, die Datenmodelle entwickeln und die Daten erheben – und in diesen Schritten Kontextinformationen reduzieren  –, und jenen, die dekodieren und damit die ausgewerteten Daten schrittweise um Kontextwissen ergänzen.

Texte aus der Medienpädagogik haben stärker diejenigen im Blick, die mit Medien und digitalen Systemen in Berührung kommen, bei denen andere bereits entsprechende Kodierungs- und Dekodierungsprozesse installiert haben. Sei es im Bereich Learning Analytics oder im alltäglichen Umgang mit derartigen Systemen als „data literate citizens“ ​(Cwielong et al. 2021, S. 9 f.)​. Diese Menschen sind systematisch von vielen der oben skizzierten Schritte ausgeschlossen und lediglich mit dem Ergebnis einer Datenauswertung konfrontiert – beispielsweise, wenn Feeds in Social-Media-Diensten personalisiert werden. In Bezug auf die sie betreffende Datenauswertung sind sie also in der Regel nicht in der Lage, sich einen Einblick in all die oben genannten Prozesse zu verschaffen. Es stellt sich vielmehr die Herausforderung, mit einer von anderen konzipierten und umgesetzten Datenverwendung kompetent umzugehen. Aus dieser Perspektive formulierte Zielstellungen heben entsprechend eher Aspekte wie „Selbstermächtigung, Selbstschutz und Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit unter den Bedingungen des Digitalen“ ​(Ahlborn et al. 2021, S. 9) [4] ​ hervor. Daraus abgeleitete Taktiken weisen dann allerdings wieder Parallelen zu den oben skizzierten Kompetenzfeldern aus. So geht es nun um das (allerdings) eigenmächtige Etablieren einer Datenkultur sowie um das Erheben und Bereitstellen von Daten (für die eigenen Zwecke) usw. Zugleich wird deutlich, dass dies Einzelne nicht mehr allein in kompetentem Agieren sicherstellen können und damit im Hinblick auf das alltägliche Medienhandeln überfordert wären.

Unverfügbarkeit als Ausgangspunkt für die Förderung von Datenkompetenz

In den skizzierten Kompetenzmodellierungen ist ein grundsätzlicher Unterschied im Zugriff auf Daten zu erkennen: Ein Teil der Modelle geht (idealtypisch) davon aus, dass alle Teilprozesse der Datenverarbeitung zugänglich wären. Zumindest wird vorausgesetzt, dass sich Kompetenzen bezüglich der Kodierungs- und Dekodierungsprozesse auch im Alltag in kompetentes Handeln transferieren lassen. In den eher aus der Medienpädagogik stammenden Modellierungen ist die Grundannahme eine gänzlich andere. Hier ist der Ausgangspunkt, dass die Datenverarbeitungsprozesse gerade nicht zugänglich und für die einzelnen Menschen verfügbar sind. Die in der Lebenswelt allgegenwärtige Asymmetrie in Bezug auf die Datenerfassung und -auswertung wird in diesen Modellen ins Zentrum gestellt. Die Komplexität, Unverfügbarkeit und fehlende Nachvollziehbarkeit von Datenauswertungsprozessen im Alltag wird hier zum Ansatzpunkt und Reflexionsanlass für die Entwicklung von Kompetenzen. Partielle Handlungsfähigkeit kann dann mit Teilkompetenzen aus den oben skizzierten Modellen zu Data Literacy entwickelt werden. So können Daten kreativ neu kontextualisiert ​(Ahlborn et al. 2021)​ und damit Prozesse der Dateninterpretation zum Thema gemacht werden. Entscheidend bleibt aber die Reflexion der Frage, in welchen Situationen wer inwieweit eine Handlungs- und Gestaltungsmacht im Hinblick auf die Datenkultur hat.  

Literatur

  1. Ridsdale, Chantel/Rothwell, James/Smit, Michael/Ali-Hassan, Hossam/Bliemel, Michael/Irvine, Dean/Kelley, Daniel/Matwin, Stan/Wuetherick, Bradley (2015). Strategies and Best Practices for Data Literacy Education: Knowledge Synthesis Report. Dalhousie University. https://dalspace.library.dal.ca/bitstream/handle/10222/64578/Strategies%20and%20Best%20Practices%20for%20Data%20Literacy%20Education.pdf?sequence=1&isAllowed=y [Zugriff: 19.11.2022]
  2. Cwielong, Ilona/Sossong, Sophie/Persike, Malte/Weyers, Philipp/Vogelgesang, Alina (2021). Daten und Data Literacy im Kontext der Wissenschaft. In: Medienimpulse, 59 (3), S. 1–35. doi: 10.21243/mi-03-21-14
  3. Schüller, Katharina/Busch, Paulina/Hindinger, Carina (2019). Future Skills: Ein Framework für Data Literacy. Hochschulforum Digitalisierung. https://hochschulforumdigitalisierung.de/de/future-skills-ein-framework-f%C3%BCr-data-literacy. [Zugriff: 24.11.2022]
  4. Ahlborn, Juliane/Verständig, Dan/Stricker, Janne (2021). Embracing Unfinishedness: Kreative Zugänge Zu Data Literacy. In: Medienimpulse, Band 59 (3), S. 1–42. doi: 10.21243/mi-03-21-18

Zitation

Brüggen, N. 2022: Welche Datenkompetenz darf es bitte sein? Ein Blick auf Kompetenzmodelle zum Umgang mit Daten. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar: https://digid.jff.de/magazin/daten/datenkompetenzmodelle/

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