Daten und Datenpraktiken in einer digitalisierten Welt
Daten und Datenpraktiken in einer digitalisierten Welt
Heutzutage sind wir von digitalen Daten umgeben. In diesem Beitrag geht es um Datenpraktiken. Also darum, wie wir durch unseren Umgang mit digitalen Daten diesen Daten Bedeutungen geben und warum für einen kompetenten Umgang mit Daten Kontextwissen notwendig ist.
Daten in einer digitalisierten Welt
Von den auf sozialen Medien geteilten Fotos bis hin zu den Infektionszahlen während der Covid-19-Pandemie – wir sind heutzutage von digitalen Daten umgeben. Sie sind ein Teil menschlicher Kommunikation im Alltag und oft eine wichtige Grundlage für politische und wirtschaftliche Entscheidungen öffentlicher Institutionen oder privater Unternehmen. Um digitale Daten zur Kommunikation oder zum Treffen von Entscheidungen zu nutzen, werden computergestützte Technologien verwendet. Mittels Algorithmen helfen diese, die digitalen Daten zu verarbeiten. So werten zum Beispiel soziale Medien wie Facebook, YouTube oder TikTok die Spuren unserer digitalen Kommunikation aus: Mit wem kommunizieren wir besonders häufig? Welche Beiträge zu welchen Themen erhalten von uns besonders viele Likes oder Klicks? Wie lange verweilen wir bei einem Beitrag zu bestimmten Themen (Wall Street Journal 2021) [1] ? Die Algorithmen funktionieren dabei so, dass solche Daten über unser Verhalten auf sozialen Medien anhand der festgelegten mathematischen und statistischen Regeln verarbeitet, beispielsweise mit den Daten anderer Menschen verglichen werden, um zu ermitteln, welche weiteren Beiträge oder welche Werbung wir erhalten sollen (Heuer 2020) [2] . Solche Daten können dann mit weiteren Daten aus anderen Quellen – anderen Unternehmen – verbunden werden, zum Beispiel mit denen über unsere Aufenthaltsorte und -zeiten oder Finanztransaktionen. Daraus können Unternehmen wie Google oder Meta, die diese Daten verarbeiten, ein sogenanntes Profil einer Person erstellen. Aus so einem Profil kann nicht nur abgeleitet werden, über welche Themen wir uns gern informieren, sondern auch unser Familienstatus, unsere finanzielle Situation, die Ethnie oder die sexuelle Orientierung (Kosinski et al. 2013) [3] . Wie wird jedoch aus einigen Klicks online ein digitales Profil, durch das Schlüsse über persönliche Informationen eines Menschen gezogen werden können und das großen Unternehmen viele Gewinne beschert?
Was sind Datenpraktiken?
Zentral ist, dass digitale Daten unterschiedlicher Formate (wie Text, Bild, Zahl) und Arten (wie Verhaltensdaten – Likes – oder geografische Daten) aus verschiedenen Quellen miteinander verknüpft werden können. Diese Verknüpfung, oft in Form von digitalen Profilen, ist ein Ergebnis der Datenpraktiken einzelner Menschen und vieler verschiedener Unternehmen, die an der Produktion, Auswertung und Nutzung dieser Daten beteiligt sind. Unternehmen wie Meta oder Google, deren Geschäftsmodell aus der Verarbeitung digitaler Daten besteht, generieren, kategorisieren, verknüpfen, werten aus und (ver-)kaufen Daten. Andere Unternehmen und öffentliche Institutionen wie Behörden, Krankenhäuser oder Schulen sind häufig in andere Datenpraktiken involviert. Beispielsweise müssen Krankenhäuser wissen, wie viele Patient*innen sie aufnehmen können, und Schulen, wie viele Lehrpersonen in welchem Fach unterrichten. Basierend auf solchen Daten können sie Entscheidungen treffen (beispielsweise neues Personal einstellen). Privatpersonen sind oft diejenigen, die die Daten in erster Linie generieren, wie im Beispiel mit den sozialen Medien: Es entstehen Daten über ihr Verhalten (wie Likes und Klicks) oder ihre Person (wie Angaben zu Alter, Geschlecht/Gender). Aber auch sie treffen ihre Entscheidungen basierend auf Daten, indem sie diese Daten interpretieren und ihnen Bedeutungen geben. So kann aus einem Like auf Facebook eine freundliche Geste werden. All diese Tätigkeiten können als ‚Datenpraktiken‘ bezeichnet werden. Der Begriff ‚Datenpraktik‘ bezieht sich also darauf, wie Menschen privat oder beruflich mit Daten umgehen, in welchen Situationen und warum. Computergestützte Technologien geben dabei eine Rahmung für Datenpraktiken vor. Sie ermöglichen oder verhindern bestimmte Praktiken, beispielsweise gibt es auf Facebook Likes und Reaktionen (wie Ärger), wobei ein ‚Daumen runter‘ von der Firma lange gemieden wurde.
Daten im Kontext – die praxeologische Perspektive auf den Umgang mit Daten
Als ‚Praxeologie‘ oder ‚Praxistheorie‘ wird die Sichtweise bezeichnet, in der Praktiken – also viele verschiedene Sprech- und Verhaltensakte, die ‚zusammengehören‘ – nur gemeinsam und unter Berücksichtigung der Ziele, Erfahrungen und des Wissens der Menschen betrachtet werden (Reckwitz 2002 [4] ; Schatzki 2002 [5] ). Warum gehen wir zum Beispiel in ein neues Café, das von vielen Menschen online mit fünf Sternen (auch Daten!) bewertet wurde, oder woher wissen wir, dass rote Zahlen auf dem Bankkonto eine schlechte finanzielle Situation bedeuten? Beim Umgang mit Daten oder anderen alltäglichen Verrichtungen verfügen Menschen über unausgesprochenes und implizites, ‚inkorporiertes‘ (engl. tacit) Wissen, das ihnen hilft, nicht bei jeder alltäglichen Aktivität über ihren Inhalt und ihre Konsequenzen nachdenken zu müssen. Dieses implizite Wissen beruht auf den bisherigen Erfahrungen einer Person. Im Umgang mit Daten hilft uns dieses Wissen, die Bedeutung der Daten zu verstehen. Digitale Daten können unterschiedliche Bedeutungen haben, weil sie ein Ergebnis menschlicher Entscheidungsprozesse sind. Zum Beispiel beschreibt John Cheney-Lippold (2017, S. 59) [6] in seinem Buch „We Are Data“, wie eine 28-jährige Wissenschaftlerin von Google als 45 bis 65 Jahre alter Mann identifiziert wurde: Aufgrund ihrer Daten – Webseiten, die sie besucht, Literatur, die sie gelesen hat – wurde ihr digitales ‚Profil‘ als ‚männlich‘ definiert . Dieser Fehler von Google zeigt, dass der Kern einer Datenpraktik das Zuweisen von Kategorien (hier ‚Frau‘ oder ‚Mann‘) anhand von Daten ist. Problematisch ist jedoch, dass wir häufig nicht wissen, wie Google und andere Unternehmen darüber entscheiden, welche Daten für welche Kategorien ausschlaggebend sind: Welche Webseiten muss ich beispielsweise regelmäßig besuchen, für welche Themen muss ich mich interessieren, damit mein digitales Datenprofil mich als Frau kategorisiert?
Kategorienzuweisung im Kern der digitalisierten Welt
Mit digitalen Daten werden die Menschen und die gesamte Welt in viele verschiedene Kategorien unterteilt (Ruppert/Scheel 2021) [7] , durch Datenpraktiken erfolgt diese Kategorisierung ständig. Einige dieser Kategorien wie Gender, Alter oder Beruf verwenden wir häufig im alltäglichen Leben, zum Beispiel wenn wir uns auf einen Job bewerben oder Datingplattformen nutzen. Solche Kategorien sind aber auch für die Organisation unserer Gesellschaft notwendig und wurden bereits in antiken Gesellschaften genutzt, um Aufzeichnungen über Menschen und Waren zu erstellen (Koenen et al. 2021) [8] . Heutzutage erfolgt diese Kategorisierung digital. Früher wie heute ist dabei jedoch die Frage zentral, wer diese Kategorien, in die die Welt unterteilt wird, definiert. Wer entscheidet darüber, welche dieser Kategorien wie zugewiesen werden und aus welchen Daten welche Kategorien bestehen? Das ist deshalb wichtig, weil, wenn solche Kategorien falsch zugewiesen werden, große Ungleichheiten entstehen können. Forscher*innen haben viele Beispiele aufgedeckt, in den Menschen anhand ihrer Daten in rassistische, sexistische und andere diskriminierende Kategorien unterteilt wurden und dadurch keinen Zugang zu Dienstleistungen oder Jobs erhielten (Benjamin 2019) [9] . Wenn wir uns also mit den Daten auseinandersetzen, sind wir damit beschäftigt, entweder den Daten neue, eigene Kategorien zuzuweisen, oder die Kategorien zu ‚entschlüsseln‘, die jemand anderes den Daten zugeordnet hat.
Woher wissen wir, wie wir mit Daten umgehen sollen?
Für Menschen, die nicht in Technologiedesign und -entwicklung einbezogen sind, bleiben die Informationen verschlossen, wie und warum ihre Daten bestimmten Kategorien zugewiesen werden. Stattdessen müssen sie diese Informationen häufig ‚entschlüsseln‘ oder ihre Daten neu interpretieren. Dafür greifen sie auf ihr unausgesprochenes, inkorporiertes Wissen zurück und beziehen den Kontext ihrer Datenpraktiken mit ein. Was bedeutet das für einen kompetenten Umgang mit digitalen Daten? Zum einen hilft uns dieses unausgesprochene Wissen, die Daten kritisch zu sehen, insbesondere wenn diese Daten uns und andere in ‚falsche‘ Kategorien einordnen. Zum anderen liefert unser implizites Wissen häufig den notwendigen Kontext, um Daten richtig zu verstehen: So würden wir das Teilen persönlicher Informationen auf einem Bewerbungsportal anders einschätzen als auf den sozialen Medien. Um kompetent mit Daten umgehen zu können, sollten wir also wissen, wozu wir und andere diese Daten generieren und nutzen. Da sich in Daten viele Ungleichheiten widerspiegeln können, ist es auch wichtig, dass wir uns mit den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen, die Daten prägen, auseinandersetzen.
Literatur
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- n. a. (2021). Investigation: How TikTok’s Algorithm Figures Out Your Deepest Desires. Wall Street Journal. https://www.wsj.com/video/series/inside-tiktoks-highly-secretive-algorithm/investigation-how-tiktok-algorithm-figures-out-your-deepest-desires/6C0C2040-FF25-4827-8528-2BD6612E3796 [Zugriff: 01.12.2022]↩
- Heuer, Hendrik (2020). Users & Machine learning-based curation systems. Staats-und Universitätsbibliothek Bremen.↩
- Kosinski, Michal/Stillwell, David/Graepel, Thore (2013). Private traits and attributes are predictable from digital records of human behavior. In: Proceedings of the National Academy of Sciences, 110(15), S. 5802–5805. doi: 10.1073/pnas.1218772110↩
- Reckwitz, Andreas (2002). Toward a Theory of Social Practices: A Development in Culturalist Theorizing. In: European Journal of Social Theory, 5(2), S. 243–263. doi: 10.1177/13684310222225432↩
- Schatzki, Theodore R. (2002). The site of the Social: A Philosophical Account of the Constitution of Social Life and Change. Pennsylvania: Penn State Press.↩
- Cheney-Lippold, John (2017). We Are Data: Algorithms and The Making of Our Digital Selves. New York: New York University Press.↩
- Ruppert, Evelyn/Scheel, Stephan (2021). Data Practices: Making Up a European People. Cambridge: MIT Press.↩
- Koenen, Erik/Schwarzenegger, Christian/Kittler, Juraj (2021). Data(fication): „Understanding the World Through Data“ as an Everlasting Revolution. In: Balbi, Gabriele/ Ribeiro, Nelson/ Schafer, Valérie/Schwarzenegger, Christian (Hrsg.), Digital Roots. Berlin & Boston: De Gruyter Oldenbourg, S. 137–156.↩
- Benjamin, Ruha (2019). Race after technology: Abolitionist tools for the new Jim code. In: Social forces, 98 (4), S. 1-3. doi: 10.1093/sf/soz162↩
Zitation
Zakharova, I. 2022: Daten und Datenpraktiken in einer digitalisierten Welt. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar: https://digid.jff.de/magazin/daten/datenpraktiken/.