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„Irgendwie ist es auch uncool“
Perspektiven von Jugendlichen auf den Umgang mit ihren Daten in Social Media

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„Irgendwie ist es auch uncool“
Perspektiven von Jugendlichen auf den Umgang mit ihren Daten in Social Media

Wir beide, Louisa und Maximilian, nutzen gern YouTube. Und YouTube benutzt uns. Genauer gesagt: unsere Daten. Das ist gängige Datenpraktik im World Wide Web. „Wenn man das […] nicht möchte, müsste man eigentlich komplett aufhören, das Internet zu nutzen“, so die Aussage eines Jugendlichen, den wir für unsere Studie interviewt haben. Auf welchen Annahmen fußt diese Einschätzung von datenverarbeitenden Prozessen in Angeboten wie YouTube und TikTok? Inwiefern sehen sich Jugendliche selbst als handlungsfähig in Bezug auf den Schutz ihrer Daten? Und wie können Jugendliche angesichts des Dilemmas von Nicht-Nutzung vs. dem Aufgeben ihrer (vollständigen) Datensouveränität im Umgang mit ihren Daten unterstützt werden? In diesem Artikel geben wir Einblicke in ausgewählte Ergebnisse unserer Studie zum Umgang von Jugendlichen mit ihren Daten in Angeboten wie YouTube und TikTok.

Menschen und Objekte sind potenziell jederzeit online und erzeugen Daten. Im alltäglichen Handeln mit digitalen Angeboten, die mithilfe von algorithmischen Empfehlungssystemen Online-Inhalte kuratieren, wird das für Jugendliche erlebbar. Bei der Nutzung von Angeboten wie TikTok, Instagram, YouTube oder Spotify sind Jugendliche nicht nur in der Rolle der Rezipierenden, Produzierenden oder Kommunizierenden. Sie steuern in der Regel auch Daten bei. Mit der Nutzung der Angebote und der damit unvermeidbaren Datenerhebung und -auswertung leisten sie, meist unbewusst, einen Beitrag dazu, dass diese Angebote erfolgreich sind und personalisierte Inhalte empfohlen werden. In diesem Artikel möchten wir den Umgang von Jugendlichen mit datenverarbeitenden Prozessen fokussieren, da diese Prozesse grundlegend für den digitalen Wandel sind. Anhand von Ergebnissen unserer qualitativen Studie zum Umgang von Jugendlichen mit algorithmischen Empfehlungssystemen (AES) stellen wir vor, welche Annahmen Jugendliche zu datenverarbeitenden Prozessen entwickeln, inwiefern sie sich selbst als handlungsfähig in Bezug auf den Schutz ihrer eigenen Daten sehen und wie Jugendliche im Umgang mit ihren Daten unterstützt werden können.

Anlage der Studie

Grundlegend für die Studie ist der Ansatz des kontextuellen Verstehens der Medienaneignung ​(Schorb/Theunert 2000 [1] ; Theunert 2013 [2] )​. Mit diesem Ansatz wollen wir das subjektiv sinnhafte Handeln von Menschen mit Medien verstehen und die jeweils relevanten medialen und nichtmedialen Kontexte für das Handeln identifizieren. Dafür wurden leitfadengestützte Einzelinterviews mit 16 Jugendlichen in den Altersgruppen 13/14/15 Jahre, 16/17 Jahre und 18/19 Jahre durchgeführt. Um ein Spektrum von Lebenswelten Jugendlicher und ihre damit verbundenen Ressourcen berücksichtigen zu können, wurde bei der Akquise auf eine systematische Einbeziehung unterschiedlicher formaler Bildungshintergründe, auf eine Gleichverteilung der Geschlechter sowie auf den Einbezug von Jugendlichen mit Migrationsgeschichte Wert gelegt. Die Namen der Einzelfälle sind Pseudonyme.

„Ich glaube manchmal sogar, die überwachen“ – Annahmen von Jugendlichen zur Datengrundlage von Empfehlungssystemen

Dem Großteil der befragten Jugendlichen ist bewusst, dass Apps wie TikTok und Instagram auf der Grundlage ihrer Nutzungsdaten personalisierte Empfehlungen erstellen. Zu diesen Daten zählen die Jugendlichen hauptsächlich durch sie selbst vergebene Likes oder andere Reaktionen auf Inhalte wie beispielsweise Kommentare und Abonnements. Einzelne Jugendliche nennen darüber hinaus weitere Einflussfaktoren: Geschlecht, Dauer und Uhrzeit der Nutzung, Verweildauer auf Inhalten, Ort der Nutzung und Suchverläufe. Für Sam, 13 Jahre, sind das Informationen über „unterbewusstes“, dey [3] meint unbewusstes, Handeln:

„Die ganzen Interaktionen, die man auch unterbewusst macht, so was wie jetzt irgendwas suchen oder wie lange du dir das anschaust zum Beispiel oder wie oft du dir das anschaust. Das sind halt alles Sachen, die man eher unterbewusst macht und die dann halt auch da reinspielen.“ (Sam)

Manche Jugendliche erwähnen auch, dass zu Beginn der Nutzung mancher Apps persönliche Interessen abgefragt werden und die Algorithmen darauf aufbauend Empfehlungen erstellen. Ein Teil der Jugendlichen äußert die Vorstellung, dass AES auch auf Daten zugreifen, die außerhalb des Angebots oder durch die Vernetzung unterschiedlicher Angebote generiert werden. Teils scherzhaft, teils basierend auf konkreten Erfahrungen vermuten einzelne Befragte, dass Angebote sogar auf Informationen zurückgreifen, die sie durch das Mithören von Offline-Unterhaltungen von ihnen erhalten haben. So antwortet beispielsweise Sarah, 16 Jahre, auf die Frage, welche Informationen TikTok für die Empfehlungen nutzt:

„Ich glaube, absolut alles. Ich glaube wirklich, absolut alles. Ich glaube manchmal sogar, die überwachen. Also ich weiß nicht, ob sie mich mit der Kamera überwachen, aber ich glaube, die hören auf jeden Fall, was ich sage.“ (Sarah)

Als Konsequenz der Freigabe persönlicher Daten sprechen manche Jugendliche das Gefühl an, von den Unternehmen überwacht zu werden. Insbesondere die geschilderte Datenerhebung außerhalb der jeweiligen Angebote wird von den befragten Jugendlichen als „gruselig“ beschrieben. Der Eindruck, dass AES auf eigene, auch vermeintlich nichtmediale Lebenskontexte zugreifen, führt auf emotionaler Ebene zu Verunsicherung bei den Jugendlichen, die durch ihr zwangsläufig bruchstückhaftes Wissen über die Datenbasis und Funktionsweise von AES nicht aufgelöst werden kann.

„Die brauchen schon ihre Zeit, bis du auch was kriegst, was dir […] gefällt.“ – Annahmen von Jugendlichen zur Verarbeitung ihrer Daten

Das Ziel von AES und den dahinterliegenden datenverarbeitenden Prozessen ist den meisten befragten Jugendlichen klar: Die Inhalte sollen gefallen und die Nutzer*innen zufriedenstellen. Die Vermutungen der Jugendlichen, wie diese Prozesse funktionieren, sind jedoch recht vage. Nur wenige äußern konkretere Vorstellungen darüber. Ihr fehlendes Wissen führen die Jugendlichen auf die ständige minimale Veränderung des Systems zurück oder darauf, dass es sich bei der genauen Funktionsweise um ein „Betriebsgeheimnis“ (Niklas) handele. Dies ist hinsichtlich der Intransparenz der Datenpraktiken von Unternehmen wie YouTube, TikTok und anderen nicht verwunderlich. Jene Jugendlichen, die konkretere Vorstellungen von der Funktionsweise schildern, stellen sich ein rechnendes System oder Programm vor. Sam erklärt das beispielsweise so:

„Also ich like, kommentiere und interagiere auf irgendeine Art und Weise und dadurch verbessert sich der Content, der Algorithmus, das Profil von mir. […] Und baut sich dann halt irgendwie Wissen über dich auf und schlägt dir halt immer passendere Sachen vor. Aber es dauert auch Zeit […]. Die sind nicht ganz so schnell, die ganzen Algorithmen. Die brauchen schon ihre Zeit, bis du mal so ein bisschen interagiert hast, ein bisschen was gemacht hast, bis du auch was kriegst, was dir auch irgendwie gefällt.“ (Sam)

Das algorithmische Empfehlungssystem lernt von den Nutzungsdaten, so die Vorstellung, die auch in Sams Schilderung deutlich wird. Das System passt sich so immer wieder an die einzelnen Nutzer*innen an.

Die Personalisierung und die Auswahl von Inhalten entsprechend ihren Nutzungspräferenzen bewerten alle befragten Jugendlichen positiv. Es gefällt ihnen, dass AES passende Inhalte vorschlagen, selbst dann, wenn sie diese Inhalte als Werbung identifizieren. Nicht relevante oder uninteressante Inhalte nehmen die Jugendlichen eher als störend oder irritierend wahr. Durch AES empfinden sie es als einfach, diese Apps ihren Interessen entsprechend in Gebrauch zu nehmen. Dennoch sehen manche Jugendliche die Empfehlung von Inhalten auch kritisch. Diese Jugendlichen erwähnen, dass sie sich auf Social Media in einer „Bubble“ befinden, in der die freie Meinungsbildung behindert werden kann. Sie würden durch die Personalisierung von Inhalten kaum Neues sehen und einige kritisieren, dass ihnen bestimmte Inhalte vorenthalten werden könnten. 

„Irgendwie ist es auch uncool“ – Perspektiven von Jugendlichen auf Datenverarbeitung

Die meisten Jugendlichen wissen: Datenverarbeitende Prozesse sind die Grundlage für algorithmische Empfehlungssysteme. Welche Daten konkret erhoben werden und wie und ob diese verarbeitet, gespeichert und weiterverwendet werden, ist oftmals jedoch unklar für sie. Für einige Jugendliche scheint die intransparente Erhebung und Verarbeitung persönlicher Daten unerlässlich und alternativlos für die interessengeleitete Nutzung von Angeboten mit AES zu sein. Darin scheint für sie die Logik des Internets zu bestehen. Sarah, 16 Jahre, hat beispielsweise den Eindruck, dass jede App persönliche Daten weitergibt und sie dagegen nichts tun kann. Die Datenschutzrichtlinien müsse sie akzeptieren, um die App zu nutzen. Einige Jugendliche schildern in diesem Kontext auch die Möglichkeit, der Freigabe ihrer Daten in den AGBs zu widersprechen. Allerdings geht damit die Sorge einher, bei der Nutzung Nachteile zu haben. Die Funktionsweise der Angebote ist für die Jugendlichen eng an die Freigabe persönlicher Daten geknüpft. Sam, 13 Jahre, nimmt diese Notwendigkeit als störend wahr: 

Sam: „Und dass halt Daten gesammelt werden insgesamt, also nur dadurch kann es funktionieren, aber irgendwie ist es auch uncool, dass jetzt Instagram weiß, ob ich jetzt Fußball mag oder nicht so.“

Interviewer: „Warum?“

Sam: „Weil dann so ein riesiger Konzern alles Mögliche über mich weiß, was jetzt eigentlich nicht sein müsste.“ 

Um die Angebote in Gebrauch zu nehmen, scheint die Freigabe persönlicher Daten den Jugendlichen, die sich dazu äußern, unerlässlich und alternativlos. In der Konsequenz schlagen ein paar Jugendliche vor, die Angebote gar nicht mehr zu nutzen. Dies sei jedoch eher eine unrealistische Option, die nicht zeitgemäß und angemessen sei. Tobias, 18 Jahre, erklärt diesbezüglich: „[…] egal was du nutzt, da gibt es diese Algorithmen. Und wenn man das jetzt nicht möchte, müsste man eigentlich komplett aufhören, das Internet zu nutzen. Und da ist halt die Frage, kann man das. […] Gut, für viele ältere Leute ist es ja ganz normal, ohne Internet zu leben, aber für jemanden der heutigen Zeit ist es relativ komisch.” (Tobias) 

Auswege aus dem Dilemma: Medienkompetenz fördern und Datenschutz stärken

Die befragten Jugendlichen sehen den Umgang mit Daten in Angeboten mit AES als ein Dilemma: Der unerlässlichen und intransparenten Datenerhebung und -verarbeitung würden sie nur durch Nichtnutzung entkommen. Die Jugendlichen schätzen dies jedoch als unrealistische Handlungsalternative ein. Auch der Blick auf die Nutzungsmotive verdeutlicht dies. Denn die Nutzung der Angebote mit AES ist für sie eng mit dem Wunsch nach Unterhaltung, Information, Teilhabe und Zugehörigkeit verbunden. Möglichst selbstbestimmt mit den eigenen Daten umzugehen, steht aus ihrer Sicht der interessengeleiteten Nutzung von Angeboten mit AES entgegen. So kann in Bezug auf die Datenverarbeitung und die Gefährdung der eigenen Datensouveränität, wie auch aus anderen Studien bekannt ​(Brüggen et al. 2014 [4] ; Brüggen/Schober 2020 [5] ; Gebel et al. 2016 [6] )​, ein Ohnmachtsgefühl bei vielen Jugendlichen beobachtet werden, das sich zum Teil in einer fatalistischen Grundhaltung im Umgang mit Daten ausdrückt. Einige Jugendliche ordnen die intransparente Datenerhebung und -auswertung als unproblematisch ein. Dabei ist unklar, ob sie die damit eventuell einhergehenden, meist in der Zukunft liegenden, Konsequenzen mitdenken.

So scheint es zunächst wichtig, Jugendliche im Umgang mit dem Dilemma von Nichtnutzung versus Aufgabe einer (vollständigen) Datensouveränität zu unterstützen. Im Zuge dessen sind Jugendliche dazu aufgefordert, sich in der damit verbundenen gesellschaftspolitischen Debatte zu positionieren, inwiefern Datensouveränität relevant und realistisch ist. Des Weiteren sollten Jugendliche dabei unterstützt werden, im Abgleich mit ebendieser Positionierung und den eigenen Nutzungsmotiven möglichst selbstbestimmt mit den eigenen Daten in Angeboten mit AES umzugehen. Beispielsweise könnten in der pädagogischen Arbeit alternative, spielerisch-kreative Nutzungsweisen als Handlungsmöglichkeit erkundet werden: Was passiert, wenn ich „falsche“ Angaben mache? Welche Empfehlungen bekomme ich, wenn ich einen zweiten Account erstelle und diesen ganz anders nutze als den ersten? Dabei ist es wichtig, die Wirksamkeit solcher Praktiken zu reflektieren – zumal diese der interessengeleiteten Nutzung entgegenstehen können. Das Erkunden solcher Nutzungsweisen könnte jedoch zumindest ein methodischer Zugang sein, um Einblicke in die Mechanismen der Datenverarbeitung zu ermöglichen. Da die Handlungsfähigkeit des Einzelnen mit Blick auf das Thema Datenschutz begrenzt ist, scheint es umso wichtiger, Jugendlichen Artikulationsräume zu eröffnen und Teilhabe am gesellschaftspolitischen Diskurs über Datensouveränität zu ermöglichen. 

Literatur

  1. ​Schorb, Bernd/Theunert, Helga (2000). Kontextuelles Verstehen der Medienaneignung. In: Paus-Hasebrink, Ingrid/Schorb, Bernd (Hrsg.). Qualitative Kinder- und Jugendmedienforschung. Theorie und Methoden: ein Arbeitsbuch. München: kopaed, S. 33–57.
  2. ​Theunert, Helga (2013). Zugänge zum Subjekt. Sinnverstehen durch Kontextualisierung. In: Hartung, Anja/Lauber, Achim/Reißmann, Wolfgang (Hrsg.). Das handelnde Subjekt und die Medienpädagogik. Festschrift für Bernd Schorb. München: kopaed, S. 129–148.​
  3. In Bezug auf die Geschlechtszugehörigkeit bezeichnet sich Sam selbst als non-binär. Sam hat das Forschungsteam gebeten, die Pronomen „dey/denen“ zu nutzen. Diese sind im Nominativ „dey“, als Possessivartikel „deren“, im Dativ „denen“ und im Akkusativ „dey“.
  4. ​Brüggen, Niels/Dirr, Eva/Schemmerling, Mareike/Wagner, Ulrike (2014). Jugendliche und Online-Werbung im Social Web. München. http://www.jff.de/jff/fileadmin/user_upload/Projekte_Material/verbraucherbildung.socialweb/JFF-Studie_Jugendliche_Online-Werbung_SocialWeb.pdf [Zugriff: 14.02.2022].
  5. ​Brüggen, Niels/Schober, Maximilian (2020). Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen mit Self-Tracking im Freizeitsport. München. https://self-tracking.jff.de/wp-content/uploads/2020/07/STUDIE_Self-Tracking_im_Freizeitsport_WEB.pdf [Zugriff: 16.11.2021].
  6. ​Gebel, Christa/Schubert, Gisela/Wagner, Ulrike (2016). „… dann sollte man gar nicht erst ins Internet, weil sie da mit Daten machen, was sie wollen.“ Risiken im Bereich Online-Kommunikation und Persönlichkeitsschutz aus Sicht Heranwachsender. ACT ON! Short Report Nr. 2. Ausgewählte Ergebnisse der Monitoringstudie. München. https://www.jff.de/fileadmin/user_upload/jff/veroeffentlichungen/PDFs/2018_hochgeladen/act-on_SR2_jff_website.pdf [Zugriff: 27.03.2020].

Zitation

Schober, M.; Bruch, L. 2022: „Irgendwie ist es auch uncool“ – Perspektiven von Jugendlichen auf den Umgang mit ihren Daten in Social Media. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar: https://digid.jff.de/magazin/daten/perspektive-jugendliche/.

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