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Affektiv kompetent

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Affektiv kompetent

„Der Film war zum Weinen schön.“ Solche Aussagen kennen wir alle. Denn dass Medieninhalte Gefühle in uns hervorrufen, begleitet uns in unserem Alltag ständig. Aber welche Rolle spielen Gefühle – auch darüber hinaus – in unserem Medienhandeln? Und was haben Emotionen und Affekte mit Medienkompetenz zu tun? Diesen Fragen gehen wir in folgendem Artikel nach und beleuchten dabei die affektive Kompetenzdimension des Rahmenkonzepts aus dem Projekt „Digitales Deutschland“ genauer.

Zunehmend geraten im wissenschaftlichen Diskurs Emotionen und Affekte in den Vordergrund und eine deutliche Trennung zwischen Rationalem und Emotionalem wird aufgegeben. Diese Bewegung, die auch als „affective turn“ bezeichnet wird (Bargetz und Sauer 2015) [1] , ebnet den Weg dafür, affektive Komponenten im Medienhandeln (Brüggen 2018) [2] bzw. in diesem Beitrag von Medienkompetenz verstärkt in den Blick zu nehmen.

Die Rolle von Gefühlen im Diskurs um Medienkompetenz

Emotionen und Affekte spielen in Bezug auf Medienkompetenz eine wichtige Rolle. Mehrere Modelle heben Kompetenzen in diesem Bereich hervor, auch wenn diese begrifflich unterschiedlich gefasst sind. So spricht beispielsweise Aufenanger von einer affektiven Dimension von Medienkompetenz. Gemeint ist damit, mit der Unterhaltungsfunktion von Medien angemessen umgehen zu können (Aufenanger 2018, S. 601) [3] . In eine ähnliche Richtung weist Groeben (2002, S. 170–172) [4] mit dem Begriff der medienbezogenen Genussfähigkeit. Er stellt fest, dass dieser medienbezogenen Genussfähigkeit im Vergleich zu anderen Medienkompetenzdimensionen, wie zum Beispiel Kritikfähigkeit, meist wenig Beachtung geschenkt wird. Zudem stehen häufig kognitive Aspekte im Vordergrund – auch wenn Genuss betrachtet wird. So wird beispielweise eher Genuss, der durch differenzierte, tiefe Sachkenntnis sowie Analyse zustande kommt, fokussiert, während unterhaltungsmotivierte Rezeptionsweisen lange Zeit abgewertet wurden. Tulodziecki spricht mit der Verarbeitung von Emotionen ebenfalls einen kognitiven Aspekt medienbezogener Genussfähigkeit an, da Personen Emotionen reflektieren und sich somit von ihnen distanzieren sollen. Auch Pfaff-Rüdiger und Kolleg*innen (2012, S. 51–52) [5] weisen auf die Bedeutung von Gefühlen im Kontext von Medienkompetenz hin. So werden als emotionale Kompetenzen sowohl Aspekte des Mood Managements aufgefasst. Damit liegt der Fokus auf dem eigenen Umgang mit Emotionen mit Hilfe von Medien. Darüber hinaus beschreiben sie – wie bei Tulodziecki – aber auch Fähigkeiten, die die Verarbeitung und den Ausdruck von mit Medien erlebten Emotionen betreffen, als relevant (Groeben 2002, S. 172).

Emotional und affektiv – Was bedeuten die Begriffe eigentlich?

Anhand dieser Kompetenzmodelle wird deutlich, dass Gefühlen und dem Umgang mit ihnen im Kontext von Medienkompetenz durchaus eine wichtige Rolle beigemessen wird. Allerdings unterscheiden sich die begrifflichen Rahmungen. Das wirft die Frage auf: Was bedeutet eigentlich affektiv? Und worin besteht der Unterschied zum Emotionalen? Grundsätzlich werden die Begriffe Affekte und Emotionen in der Wissenschaft nicht einheitlich verwendet. Je nach Fachgebiet existieren unterschiedliche Vorstellungen, was beispielsweise Emotion ist. Fassen Neurowissenschaften und Psychologie Emtionen überwiegend als angeboren, stabil, klar definiert und universal auf, wird in den Sozialwissenschaften eher davon ausgegangen, dass Emotionen sozial und kulturell geformt sind (Lünenborg 2020, S. 2–3) [6] . In Abgrenzung zu Affekten stellt Lünenborg (2020, S. 3–5) fest, dass Emotionen zeitlich begrenzt sind. Sie beziehen sich auf eine bestimmte Situation und zeichnen sich durch eine gewisse Intensität und Gerichtetheit aus. Beispiele dafür können etwa Scham, Freude, Hass oder Schuld sein.

Demgegenüber bezeichnet sie Affekte als „Rohmaterial“ von Emotionen. Bei ihnen handelt es sich eher um „Stimmungen, Atmosphären und Empfindungen (…), die beständig unser Sein begleiten, (…) gleichwohl wechselnd in Intensität und Valenz auftreten und (mitunter) wahrgenommen werden“ (Lünenborg 2020, S. 4). Das können etwa (Un-)Lust, Gereiztheit oder Ruhe sein. Trotzdem bleibt zu beachten, dass beide Begriffe nicht absolut trennscharf sind. Die unterschiedlichen Bedeutungsnouancen von Affekt und Emotion werfen die Frage auf, weshalb welche Begriffe im Medienkompetenzdiskurs auftauchen. Diese Frage kann der vorliegende Artikel nicht beantworten. Jedoch möchten wir an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, dass eine weitere Klärung und Abgrenzung von Begriffen wie „affektiv“ oder „emotional“ im Medienkompetenzdiskurs notwendig erscheint – gerade angesichts der Fülle an verschiedenen begrifflichen Rahmungen.

Die affektive Kompetenzdimension – ein Bündel verschiedener Fähigkeiten und Fertigkeiten

Das im Projekt Digitales Deutschland entwickelte Rahmenkonzept zu Medien- und Digitalkompetenzen spricht – in Anlehnung an Aufenanger (2018, S. 601) – ebenfalls von einer affektiven Dimension von Medienkompetenz (Digitales Deutschland 2021, S. 5) [7] . Darunter wird allerdings ein Bündel an Fähigkeiten und Fertigkeiten zusammengefasst, in welchem Emotionen und Affekte in verschiedenen Konstellationen betrachtet werden. Der Einblick in die oben angesprochenen Kompetenzmodelle legt nahe, dass Affekten und Emotionen im Kontext von Medienkompetenz unterschiedliche Rollen zukommen. So können sie einen Anlass der Mediennutzung bilden, sie können aber auch aus dem Medienhandeln resultieren oder als Teil vom Medienhandeln relevant werden, etwa wenn es darum geht, Medien zu genießen. Hierbei sind Emotionen oder Affekte stets einzig auf das Individuum bezogen. Ihnen kommt aber auch in der Interaktion mit Anderen eine wichtige Rolle zu, wobei sich Emotionen oder Affekte in diesem Fall nicht nur auf das einzelne Individuum, sondern auch auf das jeweilige Gegenüber beziehen.

Eine Kompetenz, die sich der affektiven Dimension zuordnen lässt, besteht darin, Medien einzusetzen, um mit den eigenen Emotionen umzugehen. So könnte man beispielsweise versuchen, sich von negativen Gefühlen abzulenken (Pfaff-Rüdiger et al. 2012, S. 51). Auch Medien zu genießen bzw. sie in ihrer Unterhaltungsfunktion angemessen zu nutzen ist eine der affektiven Kompetenzdimension zurechenbare Fähigkeit (Groeben 2002, S. 170–172; Aufenanger 2018, S. 601; Herzig und Martin 2017, S. 130–132 [8] ). Der Begriff angemessen weist bereits darauf hin, dass Mediengenuss nicht – im Sinne von Sucht – übertrieben werden sollte. Der medienbezogenen Genussfähigkeit ist die Forderung immanent, eine klare Grenze zwischen Genuss und Sucht ziehen zu können (Trepte und Reinecke 2013, S. 210) [9] . Dementsprechend greift auch der Digitalindex beispielsweise als relevante Kompetenzen das bewusste Offline-Sein auf oder Smartphone-/Internetsucht zu erkennen und sich zu schützen (Dathe et al. 2021, S. 27) [10] .

Eine weitere Kompetenz ist die Fähigkeit, Emotionen zu verarbeiten, die durch Medienhandeln entstehen – sei es bei der Produktion oder Rezeption von Medienangeboten (Lünenborg 2020, S. 5). Das kann bedeuten, mit Emotionen umzugehen, die durch Medieninhalte, wie Filme, Nachrichten oder auch Computerspiele, verursacht wurden. Hier sollten aber auch Dynamiken, die in der Interaktion über digitale Medien entstehen können, beachtet werden. Ein Beispiel dafür könnte etwa der Umgang mit Cybermobbing sein (Wolling und Berger 2018, S. 56) [11] .

In Hinblick auf die Relation von Emotionen und gesellschaftlichen Strukturen kommt Emotionen eine doppelte Bedeutung zu. Dies ist bereits im Beispiel des Cybermobbings angeklungen. Einerseits können sich durch Emotionen soziale Bindungen entwickeln. Andererseits können sie aber auch der Grund für Konflikte sein (Lünenborg 2020, S. 3). Aus dieser doppelten Bedeutung erweist sich im sozialen Kontext eine weitere Kompetenz als relevant. Personen müssen nicht nur in der Lage sein, die eigenen Emotionen zu verarbeiten, sondern auch die Gefühlslage Anderer wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren – sprich empathisch zu handeln. Da diese Kompetenz sich über das eigene Empfinden hinaus mit der Interaktion mit anderen befasst, ist sie an der Schnittstelle zwischen affektiver und sozialer Kompetenzdimension zu verorten (Digitales Deutschland 2021, S. 5–6). Einem empathischen Handeln kommt etwa besonders in Modellen des Digital Citizenship eine Bedeutung zu (Soriani 2018) [12] .

Literatur

  1. Bargetz, Brigitte/Sauer, Birgit (2015). Der affective turn. Das Gefühlsdispositiv und die Trennung von öffentlich und privat. In: FemPol, 24 (1), S. 93–102. doi:10.3224/feminapolitica.v24i1.19255
  2. Brüggen, Niels (2018). Medienaneignung und ästhetische Werturteile. Zur Bedeutung des Urteils ‚Gefällt mir!‘ in Theorie, Forschung und Praxis der Medienpädagogik. Reihe Medienpädagogik, Band 22. München: kopaed.
  3. Aufenanger, Stefan (2018). Medienkompetenz. In: Olaf-Axel Burow und Stefan Bornemann (Hrsg.), Das große Handbuch Unterricht & Erziehung in der Schule: Handlungsfeld Unterricht und Erziehung. Köln: Wolters Kluwer, S. 596–614.
  4. Groeben, Norbert (2002): Dimensionen der Medienkompetenz. Deskriptive und normative Aspekte. In: Norbert Groeben und Bettina Hurrelmann (Hg.): Medienkompetenz. Voraussetzungen, Dimensionen, Funktionen. Weinheim, München: Juventa-Verlag, S. 160–200.
  5. Pfaff-Rüdiger, Senta/Riesmeyer, Claudia/Kümpel, Anna (2012). Media literacy and developmental tasks: A case study in Germany. In: MEDIA STUDIES, 3 (6), S. 42–57.
  6. Lünenborg, Margreth (2020). Soziale Medien, Emotionen und Affekte. Freie Universität Berlin. https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/27948 [Zugriff: 05.05.2022]
  7. Digitales Deutschland (2021): Rahmenkonzept. Online verfügbar unter https://digid.jff.de/rahmenkonzept.
  8. Herzig, Bardo; Martin, Alexander (2017). Erfassung und Messbarkeit von Medienkompetenz als wichtige Voraussetzung für politische Bildung. Bundeszentrale für Politische Bildung. http://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/2_3_Herzig_Erfassung_Messbarkeit_ba_0.pdf [Zugriff: 12.01.2021]
  9. Trepte, Sabine/Reinecke, Leonard (2010).Medienpsychologie. In: Steins, G. (Hrsg.), Handbuch Psychologie und Geschlechterforschung, 1. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. doi:10.1007/978-3-531-92180-8_13
  10. Dathe, Roland/Jahn, Sandy/Müller, Lena-Sophie/Exel, Stefanie/Herrmann, Amelie/Paul, Linda (2021). D21-Digital-Index 2020/2021. Jährliches Lagebild zur Digitalen Gesellschaft. https://initiatived21.de/app/uploads/2021/02/d21-digital-index-2020_2021.pdf [Zugriff: 05.05.2022]
  11. Wolling, Jens/Berger, Priscila (2018). Die Vermittlung von Medienkompetenz in allgemeinbildenden Schulen. Zentrale Ergebnisse eines Evaluationsprojekts. Universitätsverlag Ilmenau. https://www.db-thueringen.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dbt_derivate_00041138/ilm1-2018100036.pdf [Zugriff: 12.01.2020]
  12. Soriani, Alessandro (2018). From Media Education to Digital Citizenship. Origins, perspectives and policy implementations in the school systems across Europe. Ricerche di Pedagogia e Didattica. In: Journal of Theories and Research in Education, 13(3), 85-122. doi:10.6092/issn.1970-2221/8557

Zitation

Cousseran, L.; Brüggen, N. 2022: Affektiv kompetent. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar: https://digid.jff.de/magazin/emotionen/affektiv-kompetent/

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