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Kreativ und kompetent

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Kreativ und kompetent

Kognitiv, kritisch-reflexiv, instrumentell-qualifikatorisch, affektiv, sozial und kreativ. In DigiD bündeln wir verschiedene Kompetenzmodelle und kompetenztheoretische Überlegungen in einem Rahmenkonzept und weisen dabei auch auf unterschiedliche Kompetenzdimensionen hin. In jeder Magazinausgabe stellen wir einzelne Aspekte daraus vor – dieses Mal geht es um Kreativität.

Kompetenz und Kreativität beginnen nicht nur beide mit einem K. Ihnen ist außerdem gemeinsam, dass wir davon ausgehen, dass jeder Mensch die Anlagen dazu hat und dass sie weiterentwickelt bzw. gefördert werden können. Was genau aber unter „Kreativität“ verstanden wird, bleibt auch im Kontext von Medienkompetenz offen. Kreativität ist in unserer Gesellschaft nicht nur ein viel genutztes, sondern auch ein Wieselwort (Reuter et al. 2021) [1] – ein Begriff, der mehr Fragen aufwirft, als Antworten gibt. Um dieses Problem kreativ zu lösen, stellt dieser Beitrag im Sinne des Design Thinking viele Fragen, um sich der Lösung anzunähern, und nimmt dabei Bezug auf das im Projekt Digitales Deutschland entwickelte Rahmenkonzept.

In der Debatte zu Medienkompetenz wird Kreativität unterschiedlich genutzt: als normative Begründung für die Notwendigkeit von Medienkompetenz, als Fähigkeit des Individuums und als Kompetenzdimension, in der verschiedene Fähigkeiten und Fertigkeiten für eine bestimmte Form des Handelns – nämlich einen kreativen Umgang mit digitalen Medien – gebündelt werden. Welches Verständnis von Kreativität ist notwendig, um diese verschiedenen Bereiche abzudecken? Schauen wir es uns an.

Sachgerecht, selbstbestimmt, sozial verantwortlich und kreativ – Kreativität als normative Begründung von Medienkompetenz

Werden die normativen Ziele von Medienkompetenz benannt, findet sich Kreativität nahezu immer darunter. Tulodziecki (2011) [2] spricht beispielsweise von einem „sachgerechten, selbstbestimmten, kreativ und sozial verantwortlichen“ (Medien-)Handeln als allgemeiner normativer Vorgabe für Medienkompetenz (S. 23) und spricht damit neben dem kritischen Umgang Handlungsnormen an, die in den letzten Jahren verstärkt auch öffentlich als Ziele der Medienkompetenzvermittlung benannt werden. Die Betonung kreativer Kompetenzanforderungen kommt dabei auch aus den Erfahrungen der praktischen medienpädagogischen Arbeit (vgl. Demmler 2017) [3] . Kreativität und das eigene Schaffen sind Bestandteil einer souveränen Lebensführung, die als übergeordnetes Ziel Medienhandeln motiviert und gleichzeitig einer durch die Digitalisierung ausgelösten Entfremdung entgegenwirkt.

Im (öffentlichen) Diskurs wird dabei aber selten erläutert, was unter „kreativem (Medien-)Handeln“ verstanden wird. Geht es darum, Probleme lösen zu können, oder steht der schöpferische, selbstbestimmte Prozess im Vordergrund? Während im Kontext von technischen Fertigkeiten oder auch Computerkompetenzen (wie in ICILS abgefragt; Eickelmann et al. 2019) [4] das Problemlösen bzw. das Adaptieren technischer Fertigkeiten an neue Anforderungen im Vordergrund steht, können digitale Medien gleichzeitig dazu eingesetzt werden, spielerisch an der eigenen Identität zu arbeiten und diese (neu) auszudrücken. In beidem finden sich (Kreativitäts-)Aspekte des Neuen und des Nützlichen. Gleichzeitig stellt das eigene schöpferische Schaffen in einigen Kompetenzmodellen, wie dem DigComp-Modell (Carretero et al. 2017) [5] , die höchste Kompetenzstufe dar. Hier stellt sich die Frage, ob dies bedeutet, dass Nutzer*innen nur kompetent sind, wenn sie eigene digitale Werke schaffen bzw. bestehende Medienangebote selbst gestalten oder verändern können.

Der Anspruch, digitale Medien kreativ einsetzen zu können, ist nicht verkehrt, sondern birgt Entwicklungspotenzial. Wichtig ist dabei zu hinterfragen, ob diese Anforderung an alle Nutzer*innen gleichermaßen gestellt werden kann oder nicht eher nach verschiedenen Zielgruppen und Kontextbedingungen differenziert werden müsste. Was bedeutet es beispielweise für Menschen im höheren Lebensalter, digitale Medien kreativ zu nutzen, wenn sie digitale Medien einsetzen, um an Umbrüchen in ihrem Leben zu arbeiten bzw. diese auch zu verarbeiten? Und welches Potenzial haben digitale Medien, wenn sie von Kindern und Jugendlichen kreativ in Gebrauch genommen werden?

Divergent und konvergent – Fähigkeiten im Kreativitätsprozess

Das Rahmenkonzept versteht Kompetenz als Prozess. Nimmt man diese Aussage ernst, gilt es mit Blick auf Kreativität, sich den Schaffensprozess genauer anzusehen und bei den Kompetenzanforderungen zwischen den folgenden zwei Phasen zu differenzieren: Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten werden benötigt, um in einer divergenten Phase zu experimentieren, offen zu sein und sich inspirieren zu lassen? Und welche Fähigkeiten und Fertigkeiten werden benötigt, um im Anschluss durch konvergentes Denken ins Tun zu kommen und ein eigenes Produkt zu erschaffen? In der bisherigen Betrachtung zu Medienkompetenz werden diese beiden Phasen selten getrennt. Beide benötigen aber unterschiedliche Herangehensweisen und Fähigkeiten, die gezielt gefördert werden können. Für Letzteres sind vor allem auch instrumentell-qualifikatorische Fähigkeiten und Fertigkeiten notwendig. Erst wenn ich beispielsweise weiß, wie ein 3D-Drucker funktioniert bzw. wie ich ihn bedienen kann, kann ich mein eigenes Produkt schaffen. Kreativität muss deshalb stärker in Teilprozessen gedacht und es muss hinterfragt werden, an welchen Stellen welche digitalen Medien oder Systeme zum Einsatz kommen. Kreativität wird dabei – im Sinne des Rahmenkonzepts – auch nicht allein von der Produktseite aus betrachtet.

Reckwitz (2013) [6] hat in seiner Analyse zum Kreativitätsdispositiv darauf hingewiesen, dass Kreativität im Kontext gesellschaftlicher Ästhetisierungsprozesse gesehen werden muss und dabei positiv bewertete Phänomene anspricht: die Sinneswahrnehmungen und das emotionale Involviertsein im Schaffensprozess. Beides wird im Kontext von Medienkompetenz noch zu wenig berücksichtigt. Emotionale Fähigkeiten sind notwendig, um in den Flow eines kreativen Prozesses zu kommen, aber auch, wenn es um die Bewertung meines Werkes durch andere geht. Wie wichtig ist mir als Schaffender bzw. Schaffendem das Publikum? Und wie kann ich mich auch von dessen Bewertung abgrenzen? Ähnlich verhält es sich mit Sinneswahrnehmungen: Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten unterstützen es, Inhalte digitaler Medien mit allen Sinnen wahrzunehmen und sich so auch inspirieren zu lassen, bzw. wie beeinflussen Sinneswahrnehmungen das Gestalten von Medien? Selten im Fokus stehen darüber hinaus die ästhetischen Werturteile, die den Umgang mit Medien und auch eigene Gestaltungsentscheidungen aber immer begleiten (vgl. Brüggen 2018) [7] .

Mit digitalen Medien wird nicht nur allein etwas erschaffen, mitunter wird auch kollaborativ kreativ gehandelt (zu denken ist an Bewegungen wie creative commons). Dies muss stärker in den Blick genommen werden. Gilt die Kompetenzanforderung, kreativ zu handeln, nur für das Individuum bzw. was muss bedacht werden, wenn Kollektive gemeinsam kreativ handeln? Hier werden soziale Fähigkeiten, wie Konfliktlösestrategien, das Aushandeln gemeinsamer Werte und Normen oder Anschlusskommunikation gemeinsam gestalten zu können, relevant. Die kreative Dimension weist nicht zuletzt durch den gestalteten Inhalt beziehungsweise das Produkt auf eine soziale und gesellschaftliche sowie ästhetische Ebene hin, die Subjekte (mit-)gestalten können. Das Kreative hat dadurch auch einen partizipativen Anteil.

Somit spielt kreatives Handeln auch in andere Kompetenzdimensionen hinein, wenn Medien selbst gestaltet werden können und in diesem Zuge (in der kritisch-reflexiven Dimension) auch Produktionsprozesse und -bedingungen hinterfragt und verändert werden.

Kombiniert oder transformiert – kreatives Handeln im Kontext gesellschaftlicher Rahmenbedingungen

Eine weitere Unterscheidung, die hilft, Kreativität und Kompetenz besser zu fassen, ist die Unterscheidung zwischen kombinatorischer, explorativer und transformatorischer Kompetenz (Boden 2004; Zipp/Vey 2018) [8] [9] . Werden digitale Medien dazu eingesetzt, zwei Dinge zu verknüpfen (wenn beispielsweise ein Filter über das Foto gelegt wird), wird etwas weiterentwickelt (ein Werk einer anderen Person regt mich zu meinem eigenen Werk an) oder wird mit digitalen Medien etwas Neues geschaffen, das auch soziale Folgen hat und etwas transformiert (beispielsweise im Kontext der Erschaffung eines diversitätsgerechteren Algorithmus)? Insbesondere im Kontext von Künstlicher Intelligenz gilt es, genau zu betrachten, worin das kreative Handeln beispielsweise im Programmieren eines Algorithmus besteht. Dabei gilt es zu verstehen, dass hier nicht nur Problemlösefähigkeiten von Bedeutung sind, sondern auch Fähigkeiten, die das divergente Denken erlauben.

Folgt man Reckwitz zum Kreativitätsdispositiv, stellt sich die Frage, welche Hindernisse und Hürden (insbesondere durch den Verwertungskontext) den kreativen Prozess beeinflussen. Welche Folgen hat es, dass kreatives Handeln mit digitalen Medien oft vor einem Publikum stattfindet? Das Rahmenkonzept bezieht diese Prozesse auf der Makro- und der Mesoebene in die Analyse mit ein. Was sind die (sozialen) Voraussetzung für kreatives Handeln beispielsweise in der Schule oder der Familie? Hier haben bisherige Studien gezeigt, dass kreatives (Medien-)Handeln unter anderem vom sozioökonomischen Status beeinflusst wird (Hobbs 2009, S. 46) [10] . Auf gesellschaftlicher Ebene spielen der öffentliche Diskurs, beispielsweise zu Kreativität und KI, Werte und Normen zu Kreativität und die Verfügbarkeit von Technologien und Infrastruktur eine Rolle.

Zusammenfassend können mit Blick auf das Rahmenkonzept folgende Fragen an Kreativität gestellt werden:

1. Worin genau liegt das kreative Handeln mit digitalen Medien?

2. Welches Interesse der Subjekte motiviert kreatives Handeln?

3. In welchen Phasen eines kreativen Prozesses kommen (digitale) Medien zum Einsatz?

4. Welche Sinneserfahrungen macht der/die Nutzer*in dabei?

5. Welche Emotionen begleiten das kreative Handeln?

6. Welche Fähigkeiten bzw. welches Wissen werden benötigt?

7. Welche Schnittstelle gibt es zu anderen Kompetenzdimensionen und Fähigkeiten?

8. Wann und wie wird kollaborativ kreativ gehandelt? Was sind die Reaktionen aus dem Umfeld?

9. Welche Hindernisse oder auch Frustrationen treten auf?

10. Welche Rahmenbedingungen fördern die Kreativität?

Wenn wir diese Fragen als (Wissenschafts-)Community gemeinsam angehen, hat es sich vielleicht bald ausgewieselt.

Literatur

  1. Reuter, Oliver/Hartung-Griemberg, Anja/Neumann, Wolfgang (2021). Vom Wert der Kreativität. Neue Perspektiven auf ein alte ­Leitkategorie der Medienpädagogik. Editorial. In: merz. Medien + Erziehung. Zeitschrift für Medienpädagogik, 65 (5), S. 3–9.
  2. Tulodziecki, Gerhard (2011). Zur Entstehung und Entwicklung zentraler Begriffe bei der pädagogischen Auseinandersetzung mit Medien. In: Moser, Heinz/Grell, Petra/Niesyto, Horst (Hrsg.). Medienbildung und Medienkompetenz. Beiträge zu Schlüsselbegriffen der Medienpädagogik. München: kopaed, S. 11–39.
  3. Demmler, Kathrin (2017). Kulturelle Medienbildung aus der Perspektive der Medienpädagogik. In: Kulturelle Bildung: Reflexionen. Argumente. Impulse, (15), S. 15–20
  4. Eickelmann, Birgit/Bos, Wilfried/Gerick, Julia/Goldhammer, Frank/Schaumburg, Heike/Schwippert, Knut/Senkbeil, Martin/Vahrenhold, Jan (Hrsg.) (2019). ICILS 2018 #Deutschland. Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im zweiten internationalen Vergleich und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking. Münster, New York: Waxmann
  5. Carretero, Stephanie/Vuorikari, Riina/Punie, Yves (2017). DigComp 2.1. The digital competence framework for citizens with eight proficiency levels and examples of use. Luxembourg: Publications Office
  6. Reckwitz, Andreas (2013). Die Erfindung der Kreativität. In: Kulturpolitische Mitteilungen, (141), S. 23–34
  7. Brüggen, Niels (2018). Medienaneignung und ästhetische Werturteile. Zur Bedeutung des Urteils ‚Gefällt mir!‘ in Theorie, Forschung und Praxis der Medienpädagogik. München: kopaed
  8. Boden, Margaret A. (2004). The creative mind. Myths and mechanisms. London, New York: Routledge
  9. Zipp, Jan Sebastian/Vey, Karin (2018). Das kreative System – Überlegungen zur künstlichen Kreativität. In: Informatik-Spektrum, 41 (1), S. 27–37. DOI: 10.1007/s00287-018-1089-y
  10. Hobbs, Renee (2009). Medienpädagogik in den Vereinigten Staaten von Amerika. In: merz. Medien + Erziehung., 53 (5), S. 41–49.

Zitation

Pfaff-Ruediger, S.; Brüggen, N. 2021: Kreativ und kompetent. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar: https://digid.jff.de/magazin/kreativitaet/kreativ-und-kompetent/

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