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Spielen, Schwelgen, Lieben und Scherzen

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Spielen, Schwelgen, Lieben und Scherzen

Die Praxis der Medienkompetenzförderung im Alter folgt häufig einem recht einseitig konzipierten Lernprogramm. Es geht um ein zu erlernendes Funktionswissen, das dem Umgang mit digitalen Medien vorausgesetzt ist. Vernachlässigt werden dabei nicht selten die vielfältigen emotionalen Facetten, die die Beschäftigung mit neuen, noch unvertrauten Medienpraxen motivieren und dazu inspirieren, das durch Denken erworbene Wissen und Handeln auch lustvoll auszuprobieren.

Über das Alter gibt es bestimmte Ansichten, die sich hartnäckig halten. Eine dieser Ansichten betrifft das Verhältnis von Gefühl und Vernunft. Es durchzieht das Tiefenverständnis unserer Altersordnungen, dass dem Alter eine gewisse Rationalität abzuverlangen ist. Das Alter, so die Vorstellung, habe sich emotional ausgespielt und ausgetobt. Das sind Altersbilder und wir wissen, wie wirkmächtig sie sind. Nun zur Lebensrealität. Nehmen wir vier Beispiele, die gern als Gegenbegriffe der Vernunft in Anschlag gebracht werden – das Spielen, das Schwelgen, das Lieben und das Scherzen.

Zum Spielen

Beim Spielen beginnt das Vernunftproblem. Mensch ärgere Dich nicht, Monopoly und Risiko? Gewiss, Brettspiele mit Enkelkindern bereichern den Generationendialog. Memory, Mikado und Zahlen-Bingo? Freilich, Gedächtnis und geistige Fitness lassen sich auch spielerisch trainieren. Aber: digitale Rollenspiele, Exer-Games oder Action Adventure? Auch das! Längst hat sich der Kreis der juvenilen Computer- und Videospieler*innen erweitert. Mehr denn je erfreuen sich digitale Spiele bei allen Generationen einer wachsenden Beliebtheit. Viele ehemals junge Gamer*innen haben selbst das höhere Lebensalter erreicht. Und das hält sie freilich nicht davon ab, der lieb gewonnenen Passion weiter zu frönen. Auch der Markt hat längst erkannt, welche Reize das Spielen im Alter hat. Digitale Spiele bieten emotionale Befreiung, Entspannung und Spaß. Sie öffnen Türen zu fantastischen Gegenwelten und schieben die Alltagskulisse zumindest vorübergehend ein wenig beiseite. Das Beispiel des Spielens ist auch erwähnenswert, da es zeigt, dass der Wunsch nach Identitätsexperimenten altersübergreifend ist. Viele Spieler*innen nutzen die Variabilität der Spiele nicht nur zum Nachstellen des eigenen Selbst, sondern gestalten und erproben Identitäten, die sie im Alltagsgeschehen nur erschwert leben könnten. Besonders deutlich wird dies an den sogenannten Praxen des Modding, in welchen nicht nur Figuren, Items und Sounds, sondern auch Levelstrukturen oder Regelwerke von digitalen Spielen verändert oder erweitert werden können. Die Spieler*innen sind hier nicht lediglich in eine gesetzte Dramaturgie involviert, sie können den Gang der Erzählungen auch gestaltend mitbestimmen.

Zum Schwelgen

Aus einschlägigen Arbeiten der Biografieforschung wissen wir, wie wichtig die (auch fühlende) Auseinandersetzung mit Vergangenheit für die psychische Integrität des Menschen ist. Digitale Medien laden auf vielfältige Weise dazu ein, Erinnerungen zu aktivieren und mithin sinn- und identitätsstiftend zu verarbeiten. Auf eine besondere Weise verquicken sich Emotionalität und Erinnerung im Musikhören. Musik vermag es, in der Jugend Erlebtes und die mit dem Erleben verbundenen Gefühle noch in der späten Lebenszeit zu aktivieren. Ermöglicht wird dies durch das episodische Gedächtnis, durch das Impulse mit konkreten Erlebnissen und Erfahrungen verknüpft werden können. Das erinnernde Suchen und Abrufen von Musik im Internet ist nicht nur eine Domäne der Jugend. Wohl aber spielt die Jugend für das Suchen und Abrufen von Musik im Alter eine große Rolle. Unterschiedliche Internetplattformen ermöglichen das Stöbern nach alten Titeln, aber auch nach Konzertmitschnitten und Dokumentationen und inspirieren zum Schwelgen in Vergangenheit. Wie stark die zeitübergreifende Kraft des musikalischen Gedächtnisses ist, zeigen neuropsychologische Studien über Alzheimer- und Demenzpatient*innen. Zwar geraten durch den fortschreitenden Gedächtnisverlust viele Details in Vergessenheit; durch Töne, Melodien und Harmonien können zurückliegende Erlebnisse aber zumindest punktuell emotional wiedererlebt werden. Über das Schwelgen hinaus kann der erinnernde Rückblick auf das eigene Leben auch eine orientierende Kraft entfalten, zum Beispiel dann, wenn digitale Inhalte wie Umgebungen biografische Reflexionen anregen und die Verarbeitung, Bewältigung, aber auch Kommunikation von Erfahrungen anregen.

Zum Lieben

Der Wunsch nach wechselseitiger Wahrnehmung, Zuneigung und Bezugnahme ist zweifellos eines der stärksten Motive, alternative und eben auch neue mediale Wege zu beschreiten. Mit den Lieben kommunikativ in Verbindung zu sein motiviert vielfach, sich der Anstrengung der Aneignung neuer Medienpraxen zu unterziehen. Die Möglichkeiten digitaler Kommunikation werden heute bereits selbstverständlich dazu genutzt, der gewachsenen Entgrenzung des Familienalltags zu begegnen und am Lebensalltag wichtiger Bezugspersonen teilzuhaben. Die Relevanz neuer Begegnungsformen erwächst aber auch dem Bedürfnis, neue Kontakte zu schließen. Soziale Online-Netzwerke sind für viele ältere Menschen eine attraktive Option, den sozialen Bezugsraum zu erweitern. Wie relevant Liebe als Anlass und Grund der Nutzung digitaler Medien ist, zeigen nicht zuletzt gegenwärtige Praxen der Beziehungsanbahnung im Alter. Der Mangel an Gelegenheiten, gesundheitliche Einbußen, aber auch die Erfahrungen, die Ältere in und mit Beziehungen gemacht haben, wirken sich häufig einschränkend auf Kontaktgelegenheiten aus. Online-Dating-Dienste bieten hier eine inzwischen verbreitete Alternative, neue Verbindungen und Partnerschaften zu knüpfen. Und nicht zuletzt ist Liebe auch als Sujet der Selbstartikulation zu denken. Der kreative Umgang mit digitalen Medien eröffnet gleichsam Chancen, kulturelle Vorstellungen über die späte Liebe mitzugestalten. Hier offerieren sich vielfältige Formen und Formate der Auseinandersetzung, Gegenbilder zu entwerfen und so bspw. auch gängige Normalitätskonstruktionen über Geschlechtsidentitäten und damit verbundene Beziehungsmodelle zum Ausdruck zu bringen.

Zum Scherzen

Wir wissen, dass der Sinn für Humor über die Altersgruppen hinweg bis zum hohen Lebensalter recht stabil ist. Humor ermöglicht es uns, eine distanzierende, mithin relativierende Haltung einzunehmen, den Widrigkeiten des Lebens zu begegnen und so auch, im gemeinsamen Lachen empathisch aufeinander einzugehen. Das Lachen gerät indes nicht selten zu einem Auslachen, zu einem Lachen, das sich über das Nichtkönnen im Umgang mit Medien erschöpft. Das Komische erwächst hier aus der Steifheit und Unsicherheit, mit der Ältere sich an den neuen Medientechnologien versuchen. Aus der Beobachtung einer vermeintlichen Unvereinbarkeit wird ein gestanztes Vorurteil. Die Angst vor dem Ausgelachtwerden wird in der Humorforschung auch als Gelotophobie bezeichnet. Für das Humorverständnis Älterer sei charakteristisch, so zeigt eine Studie von Jennifer Standley (2014) [1] , dass weniger über andere gelacht werde, sondern vor allem über solche Witze und Scherze, die verbindungstiftend („affiliativer Humor“) sind. Das haben die Ergebnisse ihrer generationenübergreifenden Studie zu Rezeption von Situationskomödien wie The Office, Golden Girls, Mr. Bean und Lass es, Larry! gezeigt. Fakt ist, das Humor im Alter eine wichtige emotionale Bewältigungsstrategie ist. Das belegen auch Ergebnisse einer Studie zum Medienalltag Älterer unter den Bedingungen der Covid-19-Pandemie (Hartung-Griemberg et al. 2020) [2] . Die Befragten berichteten hier mehrfach von der Praxis, im Bekannten- und Familienkreis lustige Fundsachen (z. B. Bilder oder Videos) über den Instant-Messaging-Dienst „Whats-App“ zu teilen. Im gemeinsamen Scherzen wurden dabei sowohl Wissenshintergründe über die Krise als auch persönliche Emotionen geteilt. Die Fähigkeit zur humorvollen Distanz offenbarte sich hier auch als eine besondere Stärke. Sie erlaubte den Befragten, die typisierenden Fremdzuweisungen und Entmündigungspraxen (Oma und Opa als Risikogruppe) für sich selbstironisch zu relativieren.

Spielen, Schwelgen, Lieben und Scherzen sind wichtige Motive des Medienhandelns im Alter. Wir sollten sie ernst nehmen und in ihrer Entfaltung fördern. Denn sie sind ebenso wie das Bedürfnis nach Informationen und Wissen motivierend, wenn es um den Umgang mit neuen, noch unvertrauten Medienpraxen geht. Es verfehlt ihre Potenziale, wenn wir Emotionen lediglich als affektive Nebengeräusche des Medienalltags sehen. Schließlich können sie die selbst- und weltreflektierende Wahrnehmung auch dazu inspirieren, das durch Denken erworbene Wissen und Handeln lustvoll auszuprobieren.

Literatur

  1. Standley, Jennifer (2014). Age-related differences in judgments of inappropriate behavior are related to humor style preferences. Psychology and Ageing. 29(3), S. 528–41.
  2. Hartung-Griemberg, Anja/Hoffmann, Dagmar, Kübler, Hans-Dieter/Schorb, Bernd/Schwender, Clemens (2020): Medienalltag im Alter unter den Bedingungen der Covid-19-Pandemie und den Herausforderungen der Digitalisierung. In: Medien & Altern. Zeitschrift für Forschung und Praxis, 17, S. 25–35.

Zitation

Hartung-Griemberg, A. 2022: Spielen, Schwelgen, Lieben und Scherzen. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar: https://digid.jff.de/magazin/emotionen/digitale-medien-aeltere/.

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