05

Bildungsangebote für Erwachsene gestalten – und wie Personas dabei helfen können

05

Bildungsangebote für Erwachsene gestalten – und wie Personas dabei helfen können

Es kann herausfordernd sein, Bildungsangebote für Erwachsene zu digitalen Themen zu gestalten. Wer ist „diese“ Zielgruppe eigentlich? Und wie können Angebote inhaltlich und didaktisch so gestaltet sein, dass sie möglichst vielen heterogenen Lernbedürfnissen und Anforderungen gerecht werden? In diesem Artikel geben wir einen Einblick in die medienpädagogische Bildungspraxis mit den Zielgruppen „Höheraltrige“ und „Eltern minderjähriger Kinder“ und überlegen, wie Personas in Konzeptions- und Evaluationsprozessen unterstützen können. 

Die Erwachsenenbildung umfasst eine Vielzahl von Angeboten, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Lebenssituationen Erwachsener abgestimmt sind. Sie zielt darauf ab, Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die sowohl im beruflichen als auch im privaten Kontext relevant sind. In einer sich schnell verändernden digitalen Gesellschaft werden Erwachsenenbildung und lebenslanges Lernen immer wichtiger für die persönliche und berufliche Weiterentwicklung (Hartung-Griemberg, 2017).  

In Bildungsangeboten rund um digitale Medien zeigt sich eine Vielfalt von Angeboten für jede Lebensphase, angefangen bei Angeboten für Kinder über Erwachsene bis hin zu Angeboten für das höhere Lebensalter. Thematisch reichen sie von der Vermittlung von technischen Grundkenntnissen bis hin zu komplexeren Sachverhalten, wie z. B. dem Umgang mit personenbezogenen Daten, KI-Anwendungen oder Programmiersprachen. Neben der inhaltlichen Ausrichtung können Teilnehmer*innen häufig auch zwischen verschiedenen Lernumgebungen, wie Präsenzveranstaltungen, Online-Kursen oder Blended-Learning-Angeboten wählen. Aufgrund unterschiedlicher Vorkenntnisse, Lernstile, Motivation und Bedürfnisse sowie Unterschiede in Alter, Geschlecht und sozialer Herkunft sind Zielgruppen in der Erwachsenenbildung oft sehr heterogen. Für Lehrende und Träger*innen von Angeboten in der Erwachsenenbildung kann es daher herausfordernd sein, Bildungsangebote inhaltlich und formell so zu gestalten, dass sie diesen unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden.  

Wir haben mit Nataša Eckert vom ELTERNTALK und Sophie Schmitz vom Digital-Café darüber gesprochen, wie sie in ihren Angeboten mit den vielfältigen Bedürfnissen, Problemlagen und Kompetenzen von Eltern minderjähriger Kinder und Höheraltrigen umgehen und welche Erfahrungen sie mit der Adressierung ihrer Zielgruppen gemacht haben. 

Formatvorstellung: ELTERNTALK

Nataša Eckert – Gesamtleitung ELTERNTALK

Der Umgang mit digitalen Medien (Fernsehen, Smartphone, Computerspiele und Internet) spielt im Familienalltag eine wichtige Rolle und fordert von Eltern eine gute Begleitung. Die Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e. V., bietet seit 2001 im Rahmen des § 14 SGB VIII das Projekt ELTERNTALK an, das derzeit in 49 Landkreisen/kreisfreien Städten Bayerns umgesetzt wird. Das Projekt erreicht seit seinem Start auch viele Eltern, die als sozial benachteiligt gelten.  

ELTERNTALK ist ein Format, in dem sich Eltern über die Begleitung und den Umgang ihrer Kinder mit digitalen Medien austauschen können. Angeleitet werden die Gesprächsrunden von geschulten Moderator*innen, die versuchen, auf die sehr vielfältigen erzieherischen Herausforderungen der Teilnehmer*innen einzugehen. Der ELTERNTALK richtet sich grundsätzlich an alle Eltern und arbeitet bewusst mit der Heterogenität der Zielgruppe, z.B. in Bezug auf sprachliche und kulturelle Hintergründe: Im Jahr 2023 nahmen Eltern aus über 90Ländern am ELTERNTALK teil, und auch die Moderator*innen haben häufig eine Migrationsgeschichte. So können sie gut auf verschiedene sprachliche Voraussetzungen von Müttern und Vätern eingehen. Häufig finden die Talks mehrsprachig, also auf Deutsch und einer anderen Sprache statt, außerdem werden sprachübergreifende Bildkarten zur Unterstützung im Gespräch eingesetzt. Indem Eltern selbst wählen können, worüber sie sprechen möchten, wird die Thematisierung der jeweiligen Fragen und Bedürfnisse sichergestellt. Je nach Themenbereich und Interessen der Eltern werden Gesprächsgruppen „kulturhomogen“ gestaltet, oft profitieren die Eltern aber auch von den vielseitigen Erfahrungen und Sichtweisen, die von anderen Eltern im Austausch geschildert werden. 

Herausfordernd ist jedoch oft die Erreichbarkeit der Eltern für das Projekt. ELTERNTALK setzt dabei auf eine persönliche „Mund-zu-Mund“-Einladung von Eltern, das heißt, die Teilnehmer*innen werden immer von jemandem aus dem näheren Bekanntenkreis eingeladen und kennen sich häufig bereits vorab. So können auch Eltern erreicht werden, die typischerweise von Bildungsangeboten nicht angesprochen werden. „Die persönliche Einladung schafft Vertrauen und eine geschützte Atmosphäre – das ermutigt die Eltern, offen miteinander ins Gespräch zu kommen und auch schwierige Themen anzusprechen“, erklärt Nataša Eckert, Gesamtleiterin von ELTERNTALK.
Um auch Eltern zu erreichen, für die es schwieriger ist, Präsenztermine wahrzunehmen, werden die Gesprächsrunden auch im Online-Format angeboten. So ist beispielsweise keine zusätzliche Kinderbetreuung oder eine lange Anreise notwendig, die Formate in Präsenz werden jedoch klar von den Eltern favorisiert.  

Deutliches Verbesserungspotenzial sieht Eckert bei der Erreichbarkeit von Vätern: Derzeit machen diese nur knapp 12 % der Teilnehmer*innen aus. Um die bereits steigende Tendenz noch weiter zu verbessern, sollen mehr männliche Moderatoren für Gesprächsrunden eingesetzt werden – Evaluationen der letzten Jahre konnten zeigen, dass Väter eher teilnehmen, wenn die Gesprächsrunden von einem männlichen Moderator begleitet werden.  

Formatvorstellung: Digital-Café

Sophie Schmitz – Leiterin des Digital-Café

Das Digital-Café ist eine Initiative der Evangelischen Erwachsenenbildung An Sieg und Rhein, der Aktiven Senioren der Johanniter, der Stadt Siegburg und der Freiwilligenagentur der Diakonie An Sieg und Rhein. Es wird zudem vom Fachbereich Informatik der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg unterstützt und ist seit dem Frühjahr 2023 Teil der bundesweiten Initiative „DigitalPakt Alter“. 

Das 2022 gegründete Digital-Café ist ein Erfahrungsort für Senior*innen in Siegburg und Umgebung und Teil der bundesweiten Initiative „DigitalPakt Alter“. Zu den monatlich stattfindenden Terminen kommen Senior*innen im Alter von 55 bis 87 Jahren, um einen besseren Umgang mit dem Smartphone oder Tablet zu lernen sowie um sich über Möglichkeiten und Risiken bei der Nutzung des Internets zu informieren. Häufig sind es höheraltrige Frauen oder Ehepaare, die sich von dem Angebot angesprochen fühlen. Die kostenlosen Einstiegs- und Themenkurse für fortgeschrittene Smartphone-Nutzer*innen decken die großen Themenbereiche rund um die digitale Mediennutzung ab: vom Bezahlen mit PayPal über die Nutzung von Wander-Apps bis hin zum digitalen Bearbeiten und Verschicken von Fotos. In entspannter Arbeitsatmosphäre wird zunächst thematischer Wissens-Input präsentiert, dann probieren die Teilnehmer*innen das Gelernte an Smartphones und Tablets aus – mit ausreichend Zeit für Wiederholungen und Rückfragen. Dabei sind Praxisbezug und das konkrete Anknüpfen an die Lebenswelt der Senior*innen entscheidend: Wünsche nach bestimmten Themen werden berücksichtigt und umgesetzt.  

Die Konzeption des Digital-Cafés begann zunächst mit einem offenen Angebot ohne konkrete Themenvorgabe: „Das hat sich als Fehler erwiesen – zu diesem Zeitpunkt konnten sich viele Senior*innen unter dem Angebot Digital-Café wenig bis gar nichts vorstellen. Also haben wir den Fokus auf konkrete Themen gelegt – und das Projekt nahm Fahrt auf“, erklärt Sophie Schmitz, Leiterin des Digital-Cafés Siegburg. Auch der verschiedenen Zugangsvoraussetzungen ihrer Zielgruppe sind sich die Initiator*innen des Digital-Cafés bewusst und legen Wert auf einen möglichst niedrigschwelligen Zugang – digital und analog. Ankündigungen zum Digital-Café sind online und in sozialen Medien zu finden, aber auch auf Flyern und in Tages- und Senior*innenzeitungen. Herausfordernd seien außerdem die technische Varianz der mitgebrachten Endgeräte sowie unterschiedliche Erwartungen und Bedürfnisse, körperliche oder sensorische Einschränkungen der Senior*innen sowie die Schwierigkeit, alle einzubeziehen. Hierzu ist es besonders wichtig, dass genügend Haupt- und Ehrenamtliche die Teilnehmer*innen in der Praxisphase unterstützen: „Als Faustregel gilt hier, dass auf eine*n Unterstützer*in maximal drei Personen, die begleitet werden, kommen sollten“, so Schmitz.  

Für die Weiterentwicklung des Programms wird regelmäßig das Feedback der Teilnehmer*innen eingeholt – viele loben die Vielfalt der angebotenen Themen und fühlen sich nach der Teilnahme sicherer im Umgang mit dem Smartphone, andere sind auch nach mehreren Terminen von den Nutzungsmöglichkeiten überfordert, skeptisch oder haben Sicherheitsbedenken. Daher werden in den Kursen auch weiterhin kritische Aspekte der digitalen Mediennutzung besprochen sowie thematische Wünsche aus dem Teilnehmer*innenkreis aufgenommen.  

Wie können Personas in der Konzeption und Evaluation helfen?

Die beiden Beispiele aus der Praxis machen deutlich: Es ist nicht leicht, Bildungsangebote inhaltlich und didaktisch so zu gestalten, dass sie den Bedürfnissen, Kompetenzen sowie Lebens- und Problemlagen der gewünschten Zielgruppe gerecht werden. Und auch wenn die thematische Ausrichtung des Angebots steht, ist es häufig schwerer als gedacht, den angestrebten Personenkreis wirklich damit zu erreichen.  

Einen Beitrag für ein besseres Zielgruppenverständnis im Kontext digitalisierungsbezogener Bildungsangebote, Dienstleistungen und Förderprozesse können die im Projekt „Digitales Deutschland“ entwickelten Personas für Höheraltrige und Eltern minderjähriger Kinder leisten. Es handelt sich dabei um datengestützte, fiktive Personenprofile, die speziell für diese beiden Zielgruppen sichtbar machen, welche vielfältigen Bedürfnisse, Voraussetzungen und Kompetenzen mit der Nutzung digitaler Medien verbunden sind und welche Herausforderungen sich ihnen stellen. Der Einsatz dieser Personas kann in der Praxis vorgelagert sowohl eine bedarfsorientierte Förderung und geeignete Ansprache der beiden Zielgruppen unterstützen als auch angebotsbegleitend bestehende Evaluationsstrukturen ergänzen.  

In der Entwicklungsphase der Personas wurde in Workshops sowohl mit Eltern und Höheraltrigen selbst als auch mit Bildungsexpert*innen und Akteur*innen aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft über die Ausgestaltung und den Einsatz der Personas diskutiert. Wie in den beiden hier vorgestellten Praxisformaten empfanden es auch die in die Workshops involvierten Akteur*innen branchenübergreifend als anspruchsvoll, die „richtige“ Zielgruppenansprache zu finden und geeignete Kommunikationskanäle zu wählen, um die eigenen Angebote und Dienstleistungen zu bewerben. Diese aus der Perspektive von Personas zu betrachten und entsprechend anzupassen, wurde von vielen als ein praktikabler Ansatz empfunden, der sich auch gut mit bereits verankerten Evaluationsbemühungen verbinden lässt. Einen großen Mehrwert sahen einige Stakeholder vor allem auch darin, über datengestützte Personas Wissen zu Teilzielgruppen zu gewinnen, zu denen ihnen bislang verhältnismäßig wenige oder undifferenzierte digitalisierungsbezogene Informationen vorliegen (z. B. zu Menschen mit kognitiven, sprachlichen oder körperlichen Einschränkungen oder zu Menschen mit Migrationsbiografie) bzw. zu Personengruppen, die sie als schwer erreichbar empfinden, aber gern verstärkt adressieren wollen (z. B. speziell mehr Väter beim ELTERNTALK).  

Nicht jede Institution hat die Ressourcen dazu, selbst datengestützte Personas zu entwickeln, und verlässt sich deshalb bei der Konzeption von Angeboten oder Dienstleistungen in einem gewissen Maß auf Erfahrungswerte und das eigene Bauchgefühl. Mit den in „Digitales Deutschland“ entwickelten Personas möchte das Projektteam dazu einladen, einen Schritt weiter zu gehen und die Personas als Werkzeug zur Entwicklung und Evaluation von digitalisierungsbezogenen Angeboten, Förderanliegen oder die Gestaltung einer nutzer*innenfreundlichen Zielgruppenansprache einzusetzen.  

Zitation

Muro, J., Jennewein, N. 2024: Bildungsangebote für Erwachsene gestalten – und wie Personas dabei helfen können. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar: https://digid.jff.de/magazin/transfer/bildungsangebote-fuer-erwachsene-gestalten-und-wie-personas-dabei-helfen-koennen/

Feedback