Wissen zu Digitalkompetenzen bündeln und nutzbar machen
Wissen zu Digitalkompetenzen bündeln und nutzbar machen
Der Transfergedanke in Digitales Deutschland
Wie (neue) Erkenntnisse aus der Forschung nutzbar für die Praxis aufbereitet werden können, steht im Fokus dieser Ausgabe des Magazins „kompetent – Wissen, Fühlen, Handeln im digitalen Wandel“. Dabei möchten wir insbesondere die Entwicklung von Personas zu Digitalkompetenzen und dahinterliegende Überlegungen vorstellen.
Im Jahr 2024 wurde innerhalb des Projekts „Digitales Deutschland“ eine Transferwerkstatt realisiert. Ziel dieser Werkstatt war es, neue Formate zu entwickeln, mit denen es gelingen kann, die im Projekt gebündelten Erkenntnisse zu den Digitalkompetenzen der Bevölkerung besser in der Praxis zu nutzen. Mit „Praxis“ ist hier an erster Stelle die Bildungspraxis gemeint und damit alle Akteur*innen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Menschen dabei zu unterstützen, ihre Digitalkompetenzen weiter auszubauen. Im Blick stehen dabei eine ganze Reihe unterschiedlicher Personen: zum Beispiel diejenigen, die als Trainer*innen oder Lehrkräfte solche Bildungsangebote begleiten und konzipieren, oder diejenigen, die in Institutionen (Fort-)Bildungsangebote planen und über Schwerpunktsetzungen entscheiden. Nicht zuletzt geht es aber auch um jene Akteur*innen und Institutionen, die Maßnahmen zu Digitalkompetenz fördern. Unterstützen wollen wir also die Bildungs- und die Förderpraxis.
Unterstützungsangebote oder Transfer?
Häufig wird der Begriff „Wissenstransfer“ verwendet, wenn Forschungsergebnisse in ganz unterschiedlichen Bereichen gesellschaftlicher Praxis genutzt werden sollen. Doch der damit angesprochene Prozess ist nicht trivial. Das wird besonders deutlich, wenn diese Vorstellung von Wissenstransfer mit lern- oder kompetenztheoretischen Transferbegriffen verglichen wird. Hier wird von „Transfer“ gesprochen, wenn eine Person erlernte Fähigkeiten und Fertigkeiten in anderen Situationen anwenden kann, um die sich ihr stellenden Anforderungen zu bewältigen. Gerade dieser Transfer ist ein Hinweis auf erfolgreiche Lernprozesse und damit aktiv verfügbare Kompetenzen. Wenn wir nun zum Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die gesellschaftliche Praxis zurückkommen, werden im Vergleich einige Unterschiede deutlich.
Der Transfer beim Lernen ist ein Prozess innerhalb einer Person. Ein Wissenstransfer findet dagegen zwischen unterschiedlichen Personen(-gruppen) statt. Diese Personen haben zudem eine voneinander systematisch unterschiedliche Perspektive auf den Gegenstand. Dabei ist es nicht hilfreich, die beiden Perspektiven zu unterscheiden in „Expert*innen“ (die Wissenschaft) und „Nichtexpert*innen“ (die Gesellschaft). Vielmehr sind die angesprochenen Gruppen jeweils Expert*innen, die sich mit demselben Gegenstandsbereich gut auskennen, deren Handlungsperspektiven und Entscheidungsmöglichkeiten sich jedoch deutlich unterscheiden.
Wenn wir hier also von „Transfer“ sprechen, dann geht es um den Transfer von einem gesellschaftlichen Teilsystem in ein anderes. Damit verbunden ist, dass typische Praktiken, übliche Handlungsweisen etc. voneinander abweichen und dass die damit einhergehenden Übersetzungsleistungen eben gerade den eigentlichen Transfer ausmachen. Darin liegt auch die Herausforderung bei der Gestaltung des Transfers im Projekt „Digitales Deutschland“. Die Gepflogenheiten der Kommunikation in wissenschaftlichen Texten und in praxisbezogenen Texten unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht. In der Wissenschaft geht es um Differenzierung, großen Detailreichtum und die transparente Eingrenzung der Aussagereichweite; für die Praxis ist hingegen die Frage wichtiger, welche übergreifenden Schlussfolgerungen aus den jeweiligen Erkenntnissen gezogen werden können. Das spiegelt sich nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Sprache, Struktur und (Allgemein-)Verständlichkeit von Texten.
Level 1: Bündelung von Erkenntnissen in Fachportalen als Transferangebot
Laut dem wbmonitor (Weiterbildungslandschaft aus Anbietersicht) von 2018 „Wissenstransfer – Wie kommt die Wissenschaft in die Praxis?“ greift das Gros der befragten Führungskräfte im Fort- und Weiterbildungssektor auf Fachliteratur zu, wenn sie sich über aktuelle Forschungsergebnisse informieren möchte (86 % „Häufig“/„Manchmal“). Dabei werden an erster Stelle Suchmaschinen genutzt (43 % „Häufig“ und 37 % „Manchmal“). Darauf folgen Fachportale (28 % „Häufig“ und 44 % „Manchmal“).
Ein solches Fachportal ist ein zentraler Baustein des Projekts „Digitales Deutschland“. In der Datenbank sind zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Editorials 285 Texte mit Studien und/oder Modellen zu Digitalkompetenzen erfasst und für die Nutzung aufbereitet, die seit 2013 zum Themenkomplex „Digitalkompetenzen und KI-bezogene Kompetenzen“ veröffentlicht wurden. Damit steht eine differenzierte Recherchebasis direkt aus dem Projekt zur Verfügung, die den Rechercheformen der Praktiker*innen entspricht. Denn die aufbereiteten Studien sind auch leicht über Suchmaschinen auffindbar.
Zugleich offenbart der wbmonitor aber auch, dass 42 Prozent der Befragten zu wenig Zeit haben, sich mit Forschungsergebnissen zu befassen. Um hier ein bedarfsadäquates Unterstützungsangebot bereitzustellen, wurden im Projekt verschiedene Fokusauswertungen erstellt, die einschlägige wissenschaftliche Quellen in Hinblick auf unterschiedliche Leitfragen ausgewertet haben. Solche Fokusauswertungen liegen zu den folgenden Themen vor:
Digitale Inklusion älterer Menschen
Motivation und Medien- und Digitalkompetenz
Digitale Partizipation im höheren Lebensalter zwischen Programmatik und Praxis
Medienkompetenzen von Menschen mit Migrationsgeschichte
Soziale Kompetenz im Kindes- und Jugendalter
Neben der Bündelung von wissenschaftlichen Erkenntnissen sind die Fokusauswertungen auch eine Übersetzung der wissenschaftlichen Studien in allgemeinverständliche Texte. In diesem Textformat sind wissenschaftliche Erkenntnisse in einer Weise transformiert dargestellt, dass sie (so hoffen wir) leichter in der Praxis Verwendung finden können. Dies gilt auch für das Magazin „kompetent – Wissen, Fühlen, Handeln im digitalen Wandel“, in dem jeweils ein Thema praxisnah aufgegriffen und mit differenzierenden Beiträgen bearbeitet wird. Diesen transformatorischen Ansatz des Wissenstransfers verfolgen wir aktuell in der Transferwerkstatt weiter.
Level 2: Transformationsgegenstände entwickeln, die Werkzeuge für die Praxis sind
Die Idee ist simpel: Es geht darum, einen geteilten Gegenstandsbereich zu gestalten, auf den wechselseitig Bezug genommen wird. Für einen erfolgreichen Wissenstransfer müssen sowohl Wissenschaftler*innen als auch Praktiker*innen ihre je eigene Praxis transformieren, also umgestalten und verändern. Auf der Seite der Wissenschaftler*innen geht es darum, etwas zu gestalten, das für die Bildungsarbeit direkt nutzbar ist. Dabei besteht die Herausforderung darin, über das Aufbereiten von Texten hinaus konkrete Anwendungsformate auszuloten. Auf der Seite der Praktiker*innen geht es darum, diese Formate in die je spezifischen Praxiskontexte zu integrieren und mithilfe der Impulse aus der Wissenschaft zu verändern.
Die Personas des Projekts »Digitales Deutschland« sind Anwendungsbeispiele dieser Transformationsidee. Sie sind eine neue Aufbereitungsform wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Digitalkompetenzen der Gesellschaft. Dabei verfolgen sie das Ziel, innerhalb bestimmter Bevölkerungsgruppen auch die Unterschiede und die Vielfalt an Bedürfnissen, Voraussetzungen etc. der Zielgruppen sichtbar zu machen, die in der Bildungsarbeit zu adressieren ist. Gerade damit geben sie Impulse für die Weiterentwicklung der Bildungsarbeit zu Digitalkompetenzen. Anders als Personas, die eher schematisch die gesamte Gesellschaft widerspiegeln sollen, fokussieren die DigiD-Personas zwei ausgewählte Bevölkerungsgruppen. Für Eltern mit minderjährigen Kindern im Haushalt und für höheraltrige Personen zeigen sie auf, welche unterschiedlichen Voraussetzungen, Motivlagen und Kompetenzen die jeweiligen Zielgruppen mitbringen. Diese Personas werden in gesonderten Beiträgen in diesem Magazin vorgestellt. Entwickelt wurden sie auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse der umfassenden Forschungsarbeiten im Projekt „Digitales Deutschland“. In die Entwicklung wurden zudem Expert*innen aus der Praxis mit ihren Praxiserfahrungen eingebunden – einerseits Selbstvertreter*innen, die sich aus der Binnenperspektive ihrer je eigenen Erfahrungen eingebracht haben, und andererseits Fachexpert*innen, die in unterschiedlichen Professionszusammenhängen mit der Zielgruppe arbeiten bzw. aufgrund ihrer administrativen oder konzeptionellen Arbeit über ein elaboriertes Zielgruppenwissen verfügen.
Laura Cousseran, Achim Lauber und Laura Sūna geben in ihrem Beitrag einen Einblick in die Entwicklung der Personas für die Zielgruppe „Eltern“, stellen die berücksichtigten Kategorien und die unterschiedlichen Merkmale vor und zeigen auf, welche Perspektiven sich für die Transformation der Bildungsarbeit in der Arbeit mit den Personas ergeben.
Cornelia Bogen und Anja Hartung-Griemberg stellen in ihrem Beitrag die Personas für die Zielgruppe der „höheraltrigen Personen“ vor. Auch hier werden die Entwicklungsschritte aufgezeigt und vorgestellt, wie die Personas „in action“ genutzt werden können.
Gerahmt werden diese Beiträge mit mehreren Interviews mit Praxis-Expert*innen, die am Entwicklungsprozess beteiligt waren.
Im Interview mit Nataša Eckert, Gesamtleitung ELTERNTALK, und Sophie Schmitz, Mitgründerin des Digital-Cafés, wird gezeigt, wie Personas in der Konzeption und Evaluation von Bildungsangeboten unterstützen können, um auf die vielfältigen Lernbedürfnisse einzugehen. Der Artikel beleuchtet dabei, wie solche Angebote für Erwachsene zu digitalen Themen, insbesondere für „Höheraltrige“ und „Eltern minderjähriger Kinder“, zielgruppengerecht gestaltet werden können.
Einen beispielhaften Einblick in die Arbeit mit Personas in der Praxis ermöglicht das Interview mit Anne-Kathrin Müller. Als (ehemalige) Integrationsbeauftragte hat sie viele Jahre die Integrationsprozesse der Stadt Ludwigsburg unterstützt. Im Interview spricht sie über ihre Erfahrungen und argumentiert, inwiefern Personas dazu beitragen können, eine inklusivere Gesellschaft zu gestalten.
Nicht zuletzt, aber wie in allen anderen Ausgaben unseres Magazins finden Sie auch wieder „Fünf Fragen“ und „Begriffe2Go“ – dieses Mal zu Personas.
Und abermals schließt das Magazin mit „Lieber Mensch …“ – einer Glosse aus der Perspektive einer Persona auf uns Menschen.
Im Namen des gesamten Projektteams wünsche ich viel Spaß und ertragreiche Transformationen beim Lesen.