Digitale Partizipation im höheren Lebensalter zwischen Programmatik und Praxis

Anja Hartung-Griemberg & Cornelia Bogen (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg)

Veröffentlicht am 02.05.2023

Partizipation und Teilhabe von Bürger*innen sind populäre Schlagworte in der öffentlichen Debatte darüber, wie die Funktionsfähigkeit der Demokratie in Deutschland angesichts von Filterblasen und fragmentierten Online-Öffentlichkeiten, vorgetäuschten Mehrheiten in sozialen Medien (social bots) sowie Falschnachrichten und Verschwörungstheorien aufrechterhalten werden kann. Die Ausgrenzung von gesellschaftlicher Teilhabe durch die Nichtnutzung digitaler Technologien war während der Covid-19-Pandemie v.a. in Bezug auf ältere Menschen ein in den Medien prominent verhandelter Konnex. Unser Beitrag, der ausgewählte Texte aus der Monitoring-Datenbank des Projektes „Digitales Deutschland“ zur Zielgruppe von Erwachsenen im höheren Lebensalter diskutiert, zeigt auf, dass dieses Bedrohungsszenario auch in wissenschaftlichen Diskursen eine exponierte Denkfigur ist. Dabei zeigt sich, dass die Begriffe „Partizipation“, „Teilhabe“ und „Exklusion“ oft in Anschlag gebracht werden, ohne diese zueinander in Bezug zu setzen und dabei die besondere Sinn- und Relevanzkonstellation des höheren Lebensalters systematisch einzubeziehen. Daher argumentieren wir, dass die digitale Partizipation älterer Menschen weit über deskriptiv erfassbare Zugangs- und Nutzungsausprägungen hinausgeht und das Recht auf Teilhabe, Teilnahme, aktive Mitwirkung bei der Gestaltung von Bildungs- und Digitalisierungsprozessen sowie das Moment des Teil-Seins notwendig einschließen muss.

1. Partizipation und Teilhabe im höheren Lebensalter: Definition, Voraussetzungen und Ziele

In der geragogischen Forschung und Praxis ist Partizipation ein Leitbild, demzufolge Ältere als selbstbestimmte Subjekte sowohl Bildungs- als auch Forschungsprozesse aktiv mitgestalten sollen (Bubolz-Lutz et al., 2010, S. 63). Mit Blick auf gegenwärtige öffentliche Diskurse entsteht der Eindruck, dass politische, soziale und gesellschaftliche Partizipation nur noch möglich ist, wenn die Bürger*innen Zugang zu digitalen Technologien haben. Exklusion durch Nichtnutzung erscheint als Gefahr, während Partizipation durch die Nutzung digitaler Medien gewährleistet werden soll. Interessanterweise wird dabei Exklusion nur schwach ausdifferenziert, als sei es bereits erwiesen, dass gesellschaftliche Partizipation ohne die Nutzung digitaler Technologien und ohne digitale Kompetenzen immer weniger oder schon jetzt nicht mehr möglich ist (Röser, 2017, S. 27; Seifert, 2016; Stubbe et al., 2019, S. 12, S. 18; Initiative D 21 e.V., 2021, S. 55). In dem skizzierten Bedrohungsszenario stehen vor allem auch die stetig anwachsende Gruppe älterer Menschen im Visier.

Um zu rekonstruieren, wie Autor*innen die Begriffe „Partizipation“ und „Teilhabe“ im Zusammenhang mit dem Stellenwert digitaler Medien im Lebensalltag älterer Menschen fundieren, wurden Studien der im Rahmen des Projekts „Digitales Deutschland“ erstellten Datenbank analysiert und mit theoretischen Konzeptionalisierungen im Schnittfeld Bildung, Alter(n) und Partizipation in Bezug gesetzt. Zum Zeitpunkt der Analyse umfasst die Datenbank 204 wissenschaftliche Publikationen zur Medien- und Digitalkompetenz der deutschen Bevölkerung und zu Künstlicher Intelligenz. Davon fokussieren rund 40 Artikel Erwachsene im höheren Lebensalter. Drei Fragen waren analyseleitend: Wie werden Partizipation/Teilhabe von den Autor*innen definiert? Welche Voraussetzungen werden für eine gelingende Partizipation/Teilhabe formuliert? Welche Zielperspektiven sind an Partizipation/Teilhabe geknüpft?

In Hinblick auf diesen ersten Analyseschritt lässt sich einschätzen, dass nur wenige Autor*innen die Begriffe Partizipation und Teilhabe näher definieren. In vielen Fällen werden sie synonym oder additiv verwendet. Sie bleiben semantisch unkonturiert, da sie nicht systematisch in Bezug zueinander bestimmt werden. Es entsteht der Eindruck, dass es sich hier lediglich um eine „Pathosformel“ (vgl. Fuchs 2015) handelt, deren Inanspruchnahme derartig positiv konnotiert ist, dass „mühsame Legitimationsanstrengungen“ überflüssig werden (ebd.).

Als Voraussetzung für Partizipation und Teilhabe gilt vielfach die Nutzung des Internets. Wird die Behebung der digitalen Spaltung mit der Notwendigkeit einer gezielten Medien- und Digitalkompetenzförderung argumentiert, werden sowohl ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen im Umgang mit digitalen Medien angeführt, um die Selbstwirksamkeit älterer Menschen und ihre Akzeptanz digitaler Medien zu stärken (Barczik, 2020, S. 8; Doh et al., 2016, S. 50) als auch gestaltende Kompetenzen (inkludiert den Umgang mit Algorithmen, vgl. Dogruel, 2021, S. 73) und die Beherrschung von Umgangsregeln im Netz (Initiative D 21 e.V., 2021, S. 12, S. 33). Thematisierung findet in diesem Zusammenhang auch das Konzept der Digitalen Mündigkeit, wobei die digitale Selbstbestimmung an einem reflektierten und empathischen (kommunikativen) Handeln in Online-Umgebungen festgemacht wird, etwa in Form des idealen Nutzer*innentyps des „souveränen Realisten“ (Stubbe et al., 2019, S. 12, S. 14 u. S. 21). Darüber hinaus ist festzustellen, dass in Abhängigkeit vom Komplexitätsgrad der von den Autor*innen zugrunde gelegten Partizipations- bzw. Teilhabebegriffe unterschiedliche Voraussetzungen zur Ermöglichung derselben benannt werden. Zugespitzt lässt sich sagen: Je differenzierter der Gegenstandsbereich theoretisch-konzeptionell bestimmt ist, desto umfangreichere Voraussetzungen werden benannt. Diese können sowohl strukturelle (S. 61), politische (S. 14), institutionelle (S. 69-70), rechtliche (S. 6, S. 24), gesellschaftliche (S. 8, S. 15), zivilgesellschaftliche (S. 69) als auch bildungspolitische (S. 18) Bedingungen umfassen (Stubbe et al., 2019). Bei Studien, die ältere Menschen als homogene Gruppe fassen, fallen nicht mehr berufstätige ältere Menschen aus dem Radar der Handlungsempfehlungen (André et al., 2021), etwa wenn die Autor*innen empfehlen, die digitale Nachrichten- und Informationskompetenz in Lehrplänen an Schulen und in beruflichen Weiterbildungsangeboten, nicht aber in der Erwachsenenbildung im höheren Lebensalter aufzunehmen (Meßmer et al., 2021, S. 7).

Als Zielperspektiven werden in den Auseinandersetzungen benannt die Schließung der digitalen Spaltung (Dogruel, 2021, S. 70) und des „digitalen Kompetenz-Grabens“ („digital skills gap“) (Initiative D 21 e.V., 2021, S. 7, S. 12, S. 14, S. 83), Maßnahmen gegen Exklusion (Seifert, 2016, S. 69) und Einsamkeit im Alter (Röser, 2017, S. 30), die digitale Souveränität aller Bürger*innen als gesamtgesellschaftliches Ideal (Stubbe et al., 2019, S. 14), die soziale Teilhabe (Barczik, 2020, S. 8), die Partizipation an der sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung (Stubbe et al., 2019, S. 54), die Funktionsfähigkeit von Demokratien durch gut informierte Bürger*innen (Meßmer et al., 2021, S. 6), ein erfolgreiches, gelingendes, aktives, selbstbestimmtes und zufriedenes Altern (Stubbe et al., 2019, S. 12, S. 18; Seifert, 2016, S. 14, S. 71; Röser, 2017, S. 62; Runder Tisch, 2016, S. 23), ein lebenslanges Lernen (Barczik, 2020, S. 10) und eine hohe Alltags- und Freizeitmobilität (Rieß et al., 2018, S. 92).

2. Anforderungen an Partizipation und Medienbildung im höheren Alter

Nehmen wir den Partizipationsbegriff als Leitkategorie der Medien- ebenso wie der Alter(n)sbildung  ernst, so geht dieser weit über Zugangs- und Nutzungsausprägungen hinaus. Partizipation beinhaltet die Notwendigkeit und „das Recht auf Teilnahme, Teilhabe und aktive Mitwirkung bei der Gestaltung von Bildungsprozessen“ (Bubolz-Lutz et al., 2010, S. 63).

Seit den 1990er Jahren wurden verschiedene Modelle der Partizipation entwickelt, die in Stufenform die Möglichkeiten und Herausforderungen von Bürger*innenbeteiligung beschreiben. Das 8-stufige Modell von Hart beschreibt bspw. mit Fokus auf Kinder und Jugendliche Pseudo-Beteiligungsformen (z.B. Dekoration) bis hin zu tatsächlichen Formen der Selbst- und Mitbestimmung (Hart, 1992, S. 8). Weitere Stufenmodelle, wie beispielsweise das 12-stufige Leitermodell der Bürger*innen-Beteiligung von Trojan oder das 9-stufige Modell von Wright, Block und von Unger zielen darauf ab, die Ebenen eines nicht wirklich vollzogenen Partizipationsgedankens (z.B. Anweisung) von Vorstufen der Partizipation (z.B. Anhörung) und von tatsächlicher Partizipation (Einflussnahme von Bürger*innen auf institutionalisierte Entscheidungsprozesse) abzugrenzen (vgl. Wright, 2020). Wichtig ist aus unserer Perspektive, dass in vielen Modellen verschiedene Teilhabeformen lediglich als Grade oder Zwischenstufen von Partizipation verstanden werden.

Um in einem weiteren Schritt den Datenkorpus in Hinblick auf die je implizite Argumentationslogik zu hinterfragen, diente uns das Partizipations-Konzept von Ernst von Kardoff (2014). Er unterscheidet vier Dimensionen von Partizipation.

2.1 Teilhaben

Die meisten Texte unseres Samples betrachten Partizipation als digital vermittelten Zugang zu verschiedenen Lebensbereichen. Teilhabe wird zumeist als Form von zwischenmenschlicher Kommunikation und Interaktion, als Anteilnahme am gesellschaftlichen Leben (Rieß et al., 2018, S. 89) und im Kontext politischer Meinungsbildung (Initiative D 21 e.V., 2021, S. 33) definiert. Eine Mediennutzungsstudie begreift Partizipation ausschließlich als Nutzer*innenaktivität in sozialen Netzwerken und kommt zu dem Schluss, dass die „60+ Generationen“ im Vergleich zu jüngeren Altersgruppen am seltensten Nachrichten aus sozialen Medien mit Freunden, Bekannten und Familien teilen (Meßmer et al., 2021, S. 108). Das Kommentieren einer Nachricht, das im Gegensatz zum Weiterleiten von Nachrichten weitaus höhere kognitive Anforderungen an Nutzer*innen stellt und eher dem Bereich des „Teilgebens“ zuzuordnen wäre, ist in diesem engen Begriffsverständnis von Partizipation nicht enthalten. Ein anderer Text betrachtet ältere Menschen in Deutschland als weniger kompetent im Umgang mit algorithmischen Empfehlungssystemen (Vergleich von KI-Empfehlungen, Beeinflussung personalisierter Werbung und Produktempfehlung) (Dogruel, 2021, S. 82-83). Die von älteren Nutzer*innen empfundene Hilfslosigkeit führe gegebenenfalls dazu, dass Ältere bestimmte Kommunikations-, Informations- und Dienstleistungsangebote nicht mehr nutzten (ebd., S. 83).

Autor*innen, die im Bezugsfeld der politischen Theorie und Bildung argumentieren, begreifen die gesellschaftliche Teilhabe älterer Menschen auch als Zugang und Nutzung von E-Government-Dienstleistungen (Stubbe et al., 2019, S. 18). Bei der Betrachtung von statistischen Daten wird die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit leicht ersichtlich: In Deutschland nutzten im Jahr 2021 nur die Hälfte der befragten 45-65-Jährigen E-Government-Dienstleistungen, bei den 65-75-Jährigen sind es lediglich 35%, Hochaltrige werden in der Stichprobe gar nicht erst erfasst (Statista, 2022). Ähnliche Tendenzen sind europaweit zu beobachten, wenn den 55-74-Jährigen attestiert wird, E-Government-Dienste im Vergleich zu anderen Altersgruppen am wenigsten zu nutzen, wobei auch in den Stichproben von Mediennutzungsstudien keine Binnendifferenzierung des Alters erfolgt (Hochaltrige, Migrant*innen, Menschen mit körperlichen und kognitiven „Einschränkungen“, von Armut Betroffene etc.) (UNECE, 2021).

Vor dem Hintergrund tiefgreifender struktureller Herausforderungen in Deutschland (kein flächendeckender Internetzugang, fehlende digitalisierte Verwaltungsvorgänge, unterentwickelte Assistenzinfrastruktur für Ältere zur Technologienutzung) ist es nicht verwunderlich, dass Deutschland im europaweiten Vergleich nicht nur beim Angebot und bei der Nutzung von E-Government-Strukturen weit zurückliegt (iRights.Lab, 2018, S. 10). Auch in weiteren gesellschaftlichen Lebensbereichen wie der Wirtschaft, der Gesundheit sowie im Bildungs- und Freizeitbereich sind Ältere in Deutschland durch die Digitalisierung dieser Bereiche von neuen Teilhabemöglichkeiten (z.B. E-Commerce, Telemedizin, E-Learning) abgeschnitten. Auf diesen Umstand macht eine aktuelle Studie der BAGSO aufmerksam: So fühlten sich nicht nur die sieben Millionen älteren Deutschen, die keinen Internetzugang haben, vom gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt, sondern auch diejenigen, die aufgrund mangelnder Medien- und Digitalkompetenzen digitale Dienstleistungsangebote der öffentlichen Verwaltung, der Banken, der Freizeitanbieter und der Anbieter in der Gesundheits- und Pflegeversorgung nicht nutzen können (BAGSO, 2022, S. 19 und S. 43-44). Überraschenderweise gesteht aber nur ein Text aus unserem Sample diese strukturellen Defizite ein (Stubbe et al., 2019, S. 13). Unter den gegenwärtigen nationalen Bedingungen erscheint somit die digitale Teilhabe älterer Menschen an sämtlichen, zunehmend digitalisierten Lebensbereichen in Deutschland gar nicht realisierbar.

2.2 Teilgeben

Möglichkeiten des Einbringens eigener Fähigkeiten und Kompetenzen sehen Autor*innen der analysierten Texte vor allem im Kontext des partizipativen Ansatzes der menschenzentrierten Technikentwicklung. Dabei betonen sie die Notwendigkeit eines möglichst frühzeitigen sowie aktiven Einbezugs älterer Menschen bei der Entwicklung senior*innenspezifischer technischer Produkte (z.B. Assistenzsysteme) dahingehend, die Nutzer*innenakzeptanz dieser Produkte zu erhöhen (Rieß et al., 2018, S. 89). Festgemacht wird die Beteiligung älterer Menschen bspw. a) an Fokusgruppen und moderierten Gruppendiskussionen, die im Vorfeld der Entwicklung einer Produktidee stattfinden, um die Vorstellungen älterer Menschen zu den diskutierten Problemstellungen zu rekonstruieren, b) an Nutzungskontextanalysen, c) an der Beobachtung Älterer im eigenen Zuhause und d) an der Rolle Älterer als „Testnutzer*innen“ (Rieß et al., 2018, S. 92-93; S. 100; S. 102). Im Sinne des Ansatzes des partizipativen Lernens, wie er auch im Kontext der Geragogik verfolgt wird, geht das Teilgeben aber weit über das Moment passgenauer Entwicklungen hinaus. Über das aktive Mitwirken als Mitakteur*innen einer Forschungsgemeinschaft können ältere Menschen mit ihrem Expert*innenwissen gleichermaßen Anerkennung und Selbstwirksamkeit erfahren (Runder Tisch, 2016, S. 11). Deutlich wird dies auch in Projekten (Doh et al., 2016), in denen ältere Teilnehmer*innen im Rahmen des peer-to-peer-Ansatzes als Technik-Botschafter*innen selbst an der Gestaltung von Lern- und Bildungskonstellationen mitwirken. Hier bringen ehrenamtlich tätige, ältere Technik-Botschafter*innen im Rahmen von niedrigschwelligen, informellen und ortsungebundenen Bildungsangeboten ihr technisches Wissen im Umgang mit digitalen Technologien in kollektive Lernprozesse mit ein (Barczik, 2020, S. 13). Überraschenderweise wird diese Form der Teilgabe durch Technik-Botschafter*innen von beteiligten Wissenschaftler*innen als solche gar nicht expliziert, wenn sie ältere Technikbotschafter*innen ausschließlich in ihrer Rolle als Multiplikator*innen betrachten, die durch ihre Vermittlung von Funktionswissen im Umgang mit Smartphones und Tablet-PCs dazu befähigen, „soziale“ und „gesellschaftliche Teilhabe“ zu erfahren. Gesellschaftliche Teilhabe wird hier lediglich als Zielstellung der Kursteilnehmer*innen thematisiert, hingegen das Teilgeben älterer Technik-Botschafter*innen aus dem Blick gerät. Eine solche Sichtweise birgt nicht zuletzt die Gefahr, dass das ehrenamtliche Engagement älterer Technik-Botschafter*innen von der Politik weiterhin verkannt wird und die Finanzierung von hauptamtlichen Mitarbeiter*innen in Initiativen und Vereinen unterbleibt (Hartung-Griemberg & Bogen, 2022, S. 6).

2.3 Teilnehmen

Nur eine Studie aus dem Sample beschreibt Beteiligungsprozesse, bei denen Ältere ihre Bürger*innenrolle bei der Ausgestaltung politischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse aktiv einnehmen. So betonen Stubbe et al. (2019, S. 31), dass Teilhabegerechtigkeit nur gewährleistet werden könne, wenn Ältere die Digitalisierung aktiv mitgestalten und am gesellschaftlichen und technologischen Wandel konstitutiv beteiligt sind. Aus dieser Perspektive umfasst Partizipation, über die Gestaltung konkreter Technologien hinaus, auch die Gestaltung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Digitalisierung, um deren Orientierung am Gemeinwohl auszurichten (Stubbe et al., 2019, S. 58, S. 70). Partizipation dürfe nicht als „politisches Feigenblatt“ verstanden werden, sondern sollte „konstruktiv in die Gestaltung der Digitalisierung einfließen (Stubbe et al., 2019, S. 58). Partizipation an öffentlichen Debatten ist daher eine Form der Mitbestimmung und Mitgestaltung, bei der Ältere ihre Anforderungen an die Digitalisierung sichtbar artikulieren (ebd., S. 61, S. 66, S. 68-69). Zentrale Voraussetzung für diese Art der Mitbestimmung und die Identifizierung des Gemeinwillens ist die digitale Mündigkeit als selbstbestimmter Umgang mit digitalen Technologien und die digitale Souveränität aller Bürger*innen als gesamtgesellschaftliches Ideal (Stubbe et al., 2019, S. 12, S. 66). Bezogen auf das Rahmenkonzept von „Digitales Deutschland“, das Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen und Handlungssituationen mit digitalen Medien und KI-Systemen in den Blick nimmt, bedeutet dies hinsichtlich der Kompetenzanforderungen, dass die Institutionen die entsprechenden Ermöglichungsbedingungen zum Erwerb von Medien- und Digitalkompetenzen (sachgerechte Bedienung als instrumentell-qualifikatorische Dimension von Kompetenz sowie reflektierter Umgang mit digitalen Technologien als kritisch-reflexive Dimension von Kompetenz) als Kernelement von digitaler Souveränität bereitstellen, um den „gesellschaftlichen Anspruch zu partizipieren“ zu realisieren (Stubbe et al., 2019, S. 21, S. 69). Genannt werden in diesem Zusammenhang das Orientierungswissen im digitalen Raum (kognitive Dimension von Kompetenz), Gestaltungskompetenz (kreative Dimension von Kompetenz) und Reflexionskompetenz, wobei letztere einschließt, die Konsequenzen des eigenen digitalen Handelns einschätzen zu können und Verständnis für die Potenziale, Folgen und Implikationen der neuen Technologie-Nutzung zu haben (kritisch-reflexive Dimension von Kompetenz). Während digitale Teilhabe auf Nutzer*innenseite Medien-, Informations-, Daten-, kritische Reflexions-, Wissensaneignungs- und KI-Kompetenz voraussetzt, bedarf Teilnahme zusätzlich der Rechenkompetenz („computational literacy“) und der digitalen Kreativität, also der Fähigkeit zur Erstellung digitaler Inhalte (Initiative D 21 e.V., 2021, S. 31, S. 74, S. 83; Dogruel, 2021, S. 73, S. 76-78). Um digital kreativ zu sein, werden zukünftige Generationen daher auch über die Fähigkeit verfügen müssen, algorithmische Anwendungen selbst zu kreieren und existierende Algorithmen zu modifizieren (Dogruel, 2021, S. 78). Demnach sollte die kreative und soziale Dimension von Kompetenz aus unserer Perspektive auch die Fähigkeit einschließen, die Ergebnisse von algorithmischen Empfehlungssystemen in sozialen Netzwerken durch kollaborative Einsätze der Nutzer*innen zu beeinflussen und zu verändern. In Bildungsangeboten gilt es, solche Logiken der Aufmerksamkeitsökonomie in sozialen Netzwerken an Ältere zu vermitteln und sie darin zu schulen, wie sie gezielt Posts zu einem Hashtag verfassen (z.B. zum Thema Altersbilder), damit das Thema anderen Nutzer*innen vom Algorithmus als „trending“ angezeigt wird. Förderprogramme der Kompetenzvermittlung sind entsprechend am kommunalen Bedarf und in Bezug zum Alltagsleben älterer Menschen auszurichten (Stubbe et al., 2019, S. 22, S. 70), um Ältere zu motivieren, sich auf die Aufmerksamkeitslogik in sozialen Netzwerken einzulassen (affektive Dimension von Kompetenz), die nach anderen Regeln verläuft als in traditionellen Massenmedien. Zudem werden informelle Hilfs- und Unterstützungsangebote wie Stammtische, Informationstreffs, Beratungs- und Sprechstunden oder auch Hausbesuche empfohlen, da bisherige „Initiativen vor allem bildungsnahe, jüngere Senioren mit technischen Vorkenntnissen ansprechen“ (Doh et al., 2016, S. 49, S. 51). Hinsichtlich der im Rahmenkonzept beschriebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bedeutet dies, dass die Politik gefragt ist, Datensicherheit und Vertrauen in den Datenschutz herzustellen (Stubbe et al., 2019, S. 6, S. 24). Verbraucherschützer*innen prüfen zudem derzeit das Recht auf die Nutzung datenerhebungsarmer digitaler Produkte (Stubbe et al., 2019, S. 24).

Was Stubbe et al. (2019) unberücksichtigt lassen ist die Mitbestimmung und Mitgestaltung der Bürger*innen durch E-Partizipation als internetgestützter Beteiligungsform an politischen Willensbildung- und Entscheidungsprozessen. Bislang liegen keine Daten dazu vor, wie viele ältere Deutsche in welcher Form von Online-Partizipationsweisen Gebrauch nehmen. Publikationen, die sich dezidiert mit dem Versuch, ältere Menschen an E-Partizipationsstrukturen zu beteiligen, auseinandersetzen, sind eine Seltenheit (Krön et al., 2019). Bildungsangebote sollten die kritisch-reflexive Dimension von Kompetenz auch dahingehend fördern, ältere Menschen mit Anwendungs- und Nutzungsszenarien von E-Partizipation vertraut zu machen.

3.4 Teil-Sein

Teil-Sein wird in der Forschungsliteratur bislang am wenigsten Beachtung geschenkt. Diese Dimension von Partizipation ist am ehesten da thematisch, wo es um das Eingebundensein Älterer in den Nahbereich ihrer unmittelbaren sozialen Lebensumgebung geht. So konstatiert die SIM-Studie (2022): Die „Überwiegende Mehrheit der älteren Menschen fühlt sich sozial eingebunden“ (Ebd., S. 67). Festgemacht wird das Eingebundensein hier maßgeblich an der „Zufriedenheit der älteren Menschen mit ihrer Nachbarschaft“ (SIM, 2022, S. 68, S. 80). Teil-Sein meint jedoch weitaus mehr. Teil-Sein hebt auf Möglichkeiten einer sozialen und gesellschaftlichen Zugehörigkeit ab, in der die je besonderen Eigenheiten des Menschen als bereichernder Teil von Heterogenität erkannt und anerkannt werden. Damit verweist Teil-Sein nicht zuletzt auf die Differenz zwischen Integration (lateinisch: Wiederherstellung eines Ganzen) und Inklusion (lateinisch: Enthaltensein). Werden die digitalisierungsbezogenen Einstellungen und Kompetenzen Älterer erörtert, so kreisen selbst wissenschaftliche Studien um ein Gefälle, als dessen Ursache die medienbezogene Andersheit des Alters gilt. Nur allzu selbstverständlich und unhinterfragt dienen Bezeichnungen wie Digital Natives, Silver Surfer, Best Ager dabei als Differenzkategorien. Zugehörigkeit wird so letztendlich aus der Perspektive statistischer Passungsverhältnisse definiert. So begrüßenswert Initiativen wie jene der Technikbotschafter*innen sind – auch hier werden Ältere auf ihre Rolle als Nichtnutzer*innen digitaler Technik reduziert. Sie erscheinen als außenstehende Fremde einer Gesellschaft, in die sie, über den vermittelnden Einsatz von Entsandten, einzuführen sind.

Dieses Othering setzt sich dort fort, wo Spezifika des Medienhandelns von Kohorten mit dem Generationenbegriff verknüpft werden. So ist beispielsweise in der Studie D21-Digital-Index zu lesen: „Die Generationen Z, Y und X zählen überwiegend zu den digitalen VorreiterInnen. Baby-BoomerInnen und Personen der Nachkriegsgeneration sind mehrheitlich digital Mithaltende und nur die Generation bis 1945 steht digital vornehmlich abseits“ (Dathe et al., 2022, S. 5.). In einer solchen wettbewerbsorientierten Rhetorik erscheint das Alter als Störfall einer als Normalität gesetzten Online-Realität. „Wie unsere Studie zeigt, adaptieren die verschiedenen Generationen diese Herausforderungen des digitalen Wandels teilweise sehr unterschiedlich. Was für manche Generationen normal und selbstverständlich ist, fällt anderen schwerer – das betrifft zum Beispiel die Frequenz, mit der neue Technologien in den Alltag drängen, oder die Fähigkeit, Nutzen aus den Möglichkeiten zu ziehen, […]“ (Schwaderer, zit. n. Dathe et al., 2022, S. 5). Solche und ähnliche Begriffsstrategien sind typisch für „essayistische Generationenkonzepte“ (Schäffer 2003). Sie finden sich gegenwärtig nahezu selbstverständlich auch dort, wo gesellschaftliche Streitfragen auf vermeintliche Einstellungsunterschiede von Alterskohorten zurückgeführt und als solche medial und digital verbreitet werden.

Interessanterweise befasst sich keiner der Texte aus unserem Sample mit der Frage der Altersdiskriminierung, die ein soziales Miteinander und die Anerkennung von Vielfalt in der Gemeinsamkeit potentiell behindert. So betonen weitere Studien außerhalb unseres Samples, dass digitale Technologien das digitale Engagement Älterer fördern, wenn sie gegen Altersdiskriminierung im Internet ankämpfen (UNECE 2021, S. 1). Dass Ältere dies bereits tun, verdeutlichen Reuben und Indran (2022). Die Autor*innen zeigen, dass ältere TikTok-Nutzer*innen weltweit gegen negative Altersbilder ankämpfen, indem sie sich als selbstbewusst inszenieren und Alterungsprozesse bejahen (Ng & Indran, 2022, S. 1212). Gleichzeitig treffen sie dort jedoch auf gleichaltrige und jüngere TikTok-Nutzer*innen, die ihnen mit altersdiskriminierenden Kommentaren begegnen (ebd., S. 1212-1213).

3. Zusammenfassung und Ausblick

Die Bestimmung und Auffächerung dessen, was unter Partizipation zu verstehen ist, bleibt in der Auseinandersetzung um den Konnex „Alter(n) und Digitalisierung“ vielfach unterkomplex. Damit teilt der Terminus das Schicksal des Medienkompetenzbegriffs. Häufig in Liaison auftretend scheint ihre positive Ausstrahlung einen jeden Verzicht auf weitere Begründungen hinreichend zu plausibilieren. Auf der Ebene der Praxis bedeutet dieser Verzicht jedoch, dass wichtige und notwendige Nuancierungen einer vorschnellen Verallgemeinerung weichen und die Praxis der Förderung digitaler Kompetenzen eben gerade nicht inklusiv und verbindend, sondern integrativ und trennend wirkt. So ist vor diesem Hintergrund denn auch zu hinterfragen, inwiefern Ansprachen im Kontext digitalisierungsbezogener Bildungsmaßnahmen nicht auch entmündige und mithin entmutigende Wirkungen zeitigen, da der Ausgangspunkt das Defizit auf Seiten der alternden Subjekte und das Potential auf Seiten der digitalen Medien ist und nicht umgekehrt.

Um der Vielfalt und Vielschichtigkeit von Lebenslagen und -perspektiven im höheren Alter Rechnung zu tragen, hat sich in der Geragogik der Ansatz einer „differenziellen Bildung“ etabliert (Bubolz-Lutz, 2010, S. 129). Damit verbunden ist der Anspruch einer „Ermöglichungsdidaktik“, die ihren Fokus maßgeblich „auf die individuellen Voraussetzungen, Bedürfnisse und Motivationslagen der Lernenden“ (ebd., S. 129) richtet und Lehrinhalte konsequent in Beziehung „zum Erfahrungswissen einerseits und den alltäglichen Verwendungssituationen andererseits“ setzt (ebd., S. 133). In Verschränkung mit den didaktischen Prinzipien der Geragogik lassen sich für die genannten Dimensionen von Partizipation zentrale Prämissen für die Förderung von Digitalkompetenzen im Alter ableiten. Grundlegend ist dabei der Kerngedanke der Selbstbestimmungstheorie der Motivation, der zufolge die Motivation zu lernen entscheidend davon abhängt, inwiefern die Grundbedürfnisse nach Kompetenz, sozialer Eingebundenheit und Autonomie zur Geltung kommen (Ryan & Deci, 1993).

[1] Teilhaben als Zugang zu Lebensbereichen

Das Prinzip der Teilhabe setzt voraus, dass diese von Älteren als selbstbestimmt erfahren wird. Autonomie meint dabei, dass sich der Zugang zu neuen Lebenspraxen nicht als fremdbestimmte Anpassung realisiert, sondern als freiwillige und in Kohärenz mit den eigenen Bedürfnissen stehende Entscheidung. Dabei ist elementar, dass das Erlernen neuer Technologien und Medienpraxen für Ältere (erkennbar) mit einem Sinn verbunden ist. Diese Sinnhaftigkeit entfaltet sich als synchrone Perspektive vor dem Hintergrund der je unterschiedlichen Voraussetzungen, Bedürfnisse und Interessen und als diachrone Perspektive vor dem Relevanzhorizont einer zunehmend in das Bewusstsein rückenden Endlichkeit. Hier ist die Frage zu stellen, inwiefern zielgruppenhomogenisierende Adressierungen und medienbezogene Relevanzzuschreibungen das Gefühl der Selbstbestimmung nicht eher zu unterminieren drohen, da sie als Lernzumutungen den Zugang zu bislang unerschlossenen Möglichkeitsräumen blockieren (vgl. Schäffter, 2000). Bildungsangebote, die sich an Ältere richten, sollten in ihrer Ansprache daher auf den möglichen Mehrwert einer Anwendung für die individuelle Alltagsgestaltung abheben, verbunden mit der Möglichkeit, die konkreten Angebote in Korrespondenz mit eigenen Fragen und Interessen mitgestalten zu können (Hartung-Griemberg & Bogen, 2022, S. 4).

[2] Teilgeben als Einbringen eigener Fähigkeiten und Kompetenzen

Das Prinzip der Teilgabe hebt auf das essenzielle Moment des Kompetenzerlebens Älterer ab, selbst einen aktiven Beitrag geleistet zu haben und leisten zu können. Sie ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, Selbstwirksamkeit zu erfahren und Vertrauen in Hinblick auf den Umgang mit neuen Anforderungen zu entwickeln. Im Kontext der Digitalisierung erscheinen Ältere und die ihnen zugeschriebenen Medien- und Digitalkompetenzen meist als Problem. Diese Sicht ist nicht nur mit einer impliziten Entwertung des Alters verbunden; sie lässt auch die erfahrungsbedingten Orientierungen außer Acht, die für die Auseinandersetzung mit Neuem entscheidend sind. Ältere Menschen sind gefordert, das Neue in Einklang mit bisherigen (identitätskonstitutiven) Lebens- und so auch Medienerfahrungen zu bringen.

Es ist wichtig, das Thema Digitalisierung nicht nur in Hinblick auf neue Kompetenzanforderungen zu kommunizieren, sondern auch zu würdigen, was Ältere bereits gelernt haben und welchen Beitrag diese Fähigkeiten und Kompetenzen in der Bewältigung aktueller Herausforderungen leisten können. Hier ist es entscheidend, eine Atmosphäre der Bezugnahme zu schaffen, in der diese Erfahrungen als Wert und gleichberechtigte Perspektive der Auseinandersetzung auch in der Gestaltung von neuem Sinn Wirkung entfalten können. Dazu gehört auch, die Rolle älterer Technik-Botschafter*innen nicht auf ihre Vermittlungsfunktion zu beschränken, sondern ihre Vorbildrolle öffentlich zu kommunizieren, um das stereotype Altersbild von den technikinkompetenten Älteren zu konterkarieren. Dies schließt die Honorierung ihres ehrenamtlichen Engagements durch die Finanzierung hauptamtlicher Mitarbeiter*innenstellen mit ein. Ferner sollte der öffentliche Diskurs ein Schlaglicht auf diejenigen werfen, die bereits jetzt ihre altersbezogenen Erfahrungen als Mitakteur*innen einer Forschungsgemeinschaft in der partizipativen Forschung mit einbringen.

[3] Teilnehmen als Mitbestimmung und Mitgestaltung

Das Prinzip des Teilnehmens bedeutet zunächst, Ältere an der Entwicklung von Zielen, Methoden und Lernkonstellationen aktiv zu beteiligen und dabei Wahlmöglichkeiten und Aushandlungsprozesse bewusst zuzulassen. Es bedeutet darüber hinaus, Rahmenbedingungen zu gestalten, die auch Raum für eine Entfaltung eines Möglichkeitssinns zulassen. Das bedeutet bspw., die Fragen der Lernenden nicht vorschnell als zu lösendes Verständnisproblem einzustufen, sondern diese Fragen als erkenntnisleitende Suchbewegung gezielt aufzugreifen und als Anlässe gemeinsamen Nachdenkens über (digitale) Medien und Medientechnologie anzuerkennen.

Die Praxis der Medien- und Digitalkompetenzförderung im Alter folgt häufig einem recht einseitig konzipierten Lernprogramm. Es geht um ein zu erlernendes Funktionswissen, das dem Umgang mit digitalen Medien vorausgesetzt ist. Vernachlässigt werden dabei nicht selten die vielfältigen emotionalen, spielerischen und mithin kreativen Facetten, die als individuelles Motiv und pädagogisches Ziel des Umgangs mit noch unvertrauten Medienpraxen zu denken sind. In ihren Überlegungen zu einer Verantwortungsethik des Alters argumentieren Kruse & Schmitt (2011), wie wichtig Möglichkeiten der Mitgestaltung und Mitverantwortung für andere Menschen und die Gesellschaft und mithin der Wunsch nach Nachhaltigkeit für ein sinnerfülltes Leben im Alter sind. Sollen Ältere darin bestärkt werden, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Digitalisierung mitzugestalten und an öffentlichen Debatten zu netzpolitischen Aspekten zu partizipieren, so gilt es auch, das Wissen zur Netzkultur und zur Funktionsweise von Medienökonomien zu erweitern und das gestalterische Moment von Medien- und Digitalkompetenzen, z.B. im Format einer themenzentrierten Kompetenzförderung (Keilhauer & Schorb 2010), in den Vordergrund zu rücken. Zwar sind die kritisch-reflexive und die kreative Dimension von Kompetenz in einschlägigen Kompetenz-Modellen konzeptionell angelegt; sie werden aber noch selten in der Medienpraxis mit Älteren fokussiert. Die gegenwärtige Medienarbeit ist hier noch bevorzugt auf die Vermittlung von Funktionswissen (Bedienung digitaler Geräte) und somit auf die Förderung der instrumentell-qualifikatorischen Kompetenzdimensionen ausgerichtet (Hartung-Griemberg/Bogen, 2022, S. 7). Da die Medien- und Digitalkompetenzförderung bislang die politische Bildung und die Teilnahmemöglichkeiten im Bereich der E-Partizipation weitestgehend unberücksichtigt gelassen hat, sollten zukünftige Bildungsprojekte Älteren Wege zur Nutzung internetgestützter Beteiligungsformen an politischen Willensbildung- und Entscheidungsprozessen aufzeigen.

[4] Teilsein als soziale Zugehörigkeit und Anerkennung

Das Prinzip des Teilseins ist als umgreifende Zielperspektive zu verstehen. Der Wunsch nach sozialer Nähe und Einbindung ist für viele Ältere ein gewichtiger Grund, an Bildungsangeboten teilzunehmen. Hier gilt es, soziale Dynamiken nicht nur als positive Nebeneffekte des Lernens zu fassen, sondern diese bewusst in die Gestaltung von Lernszenarien einzubeziehen. Dabei sind verstärkt begegnungspädagogische Angebote zu gestalten, die über Alterslimitierungen hinausgehen und in bildungsbezogenen Interaktionen eine Wechselbezüglichkeit und mithin Transzendenz unterschiedlicher Perspektiven ermöglichen. Wie der Bildungswissenschaftler Krassimir Stojanow (2006) am Beispiel der interkulturellen Pädagogik zeigt, kann der Prozess der individuellen Wissenskonstitution nur dann gelingen, wenn die an pädagogischen Prozessen beteiligten Akteur*innen die Erfahrung machen können, dass die Aneignung von Neuem „ein Vehikel der Erweiterung und der Anreicherung der Verhältnisse intersubjektiver Anerkennung ist, an denen er oder sie partizipiert“ (Stojanow, 2006, S. 17). Soziale Eingebundenheit tangiert die Bedeutung, die andere Menschen für Ältere haben ebenso wie die Bedeutung, die Ältere für andere Menschen und das gemeinschaftliche Miteinander haben.

Vor diesem Hintergrund sollten Förderangebote a) intergenerationelle und altershomogene (peer-to-peer) Ansätze, b) disziplinübergreifende, transferwissenschaftliche Ansätze in partizipativen Forschungsprojekten wie auch c) Ansätze der interkulturellen Pädagogik forcieren, um verschiedene soziale Gruppen themen- und problemorientiert miteinander ins Gespräch zu bringen und damit die Vielfalt unterschiedlicher Bildungsperspektiven anzuerkennen.

Die Disziplinen der Geragogik und der Medienpädagogik haben sich aus ihren je eigenen fachspezifischen Zugängen heraus mit den Anforderungen auseinandergesetzt, die sich an Lernen und Bildung unter den Bedingungen einer fortschreitenden Digitalisierung stellen. Es ist an der Zeit, fachübergreifende Modelle für die Medien- und Digitalkompetenzförderung Älterer zu erarbeiten, in welchen die altersdifferenziellen Ansätze der Geragogik systematisch mit den differenzierenden Konzepten von Medien- und Digitalkompetenzen der Medienpädagogik wissenschaftlich und handlungspraktisch zusammenfinden.

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Die Autorinnen

Prof.in Dr.in Anja Hartung-Griemberg, ist stellvertretende Leiterin der Abteilung Kultur- und Medienbildung, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, Vorsitzende des Netzwerks „Gesellschaft-Alter(n)-Medien e.V.“ und Mitherausgeberin der Fachzeitschrift „Medien & Altern“. Anja Hartung-Griemberg beschäftigt sich in Forschung und Lehre mit dem Thema Medien im höheren Lebensalter. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht die empirische Exploration des Medienhandelns älterer Menschen und der mediatisierten Rahmenbedingungen des Alter(n)s in zeitgenössischen Gesellschaften.

Dr.in (phil.) Cornelia Bogen ist akademische Mitarbeiterin an der Abteilung für Kultur- und Medienbildung, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg und Redaktionsmitglied der Zeitschrift Medien & Altern. Zu den Forschungsschwerpunkten der Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin zählen interkulturelle Aspekte von Modernisierungsprozessen, die soziale Auswirkung digitaler Technologien, Transformationsprozesse der Gesundheitskommunikation im kulturellen Kontext Chinas und Europas und der Umgang älterer Menschen mit neuen Medientechnologien.

Zitation

Hartung-Griemberg, A.; Bogen, C. 2023: Digitale Partizipation im höheren Lebensalter zwischen Programmatik und Praxis. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar: https://digid.jff.de/fokus-auswertung-zu-partizipation/.