Understanding algorithmic recommendations. A qualitative study on children’s algorithm literacy in Switzerland
Kurzbeschreibung
Der Beitrag beschreibt eine qualitative Studie zu Algorithm Literacy von Grundschulkindern. Zentral sind dabei folgende Forschungsfragen: Wie interagieren Kinder täglich mit algorithmischen Empfehlungssystemen? Welche Fähigkeiten benötigen sie, um sich kompetent in digitalen Umgebungen zu bewegen, in die diese Systeme zunehmend eingebettet sind? Und schließlich wie erwerben Kinder Algorithm Literacy? Erforscht wurde dies anhand von Gruppendiskussionen zu Videoempfehlungen bei YouTube.
Annahmen über die Folgen der Digitalisierung
Kinder von heute wachsen in einer tiefgreifend mediatisierten Lebenswelt auf, das heißt ihr Alltag ist von digitalen Technologien durchdrungen und grundlegend strukturiert. Die allgegenwärtige Präsenz und Vernetzung digitaler Geräte geht einher mit einer zunehmenden Datafizierung. Daten der Nutzenden werden erfasst und wiederum in die Entwicklung algorithmisierter Medien einbezogen. Dass algorithmische Empfehlungssysteme auch im Alltag von Kindern (spätestens wenn sie beginnen, Social Media Plattformen zu nutzen) eine wichtige Rolle spielen, ist weithin bekannt.
Kompetenzanforderungen
Im Kontext von algorithmischen Empfehlungssystemen müssen Kompetenzträger*innen dazu in der Lage sein, den Nutzen von Algorithmen zu erkennen, zu erklären, wie Algorithmen funktionieren, algorithmische Ergebnisse kritisch und reflexiv einzuordnen und zu bewerten sowie mit ihnen für die eigenen Bedarfe passend umgehen zu können.
Kompetenzbegriffe (nach dem Papier)
Unterdimensionen (nach dem Papier)
Awareness,
Knowledge,
Critical Evaluation,
Active Engagement
Kompetenzdimensionen (nach dem Rahmenkonzept von Digitales Deutschland)
Kognitive Dimension: Bewusstsein für und Wissen über die Kuratierung der Anzeige in YouTube; Wissen über den Aufbau von algorithmischen Empfehlungssystemen bei YouTube; Wissen darüber, dass Plattformen wie YouTube ein Geschäftsmodell verfolgen, das darauf gerichtet ist, dass Nutzer*innen möglichst lange am Bildschirm bleiben.
Affektive Dimension: Über die (negativen) Emotionen reflektieren, die durch die Nutzung von YouTube hervorgerufen werden.
Kritisch-reflexive Dimension: Die Macht von Tech-Unternehmen, die durch algorithmische Empfehlungssysteme deutlich wird, auf einer gesellschaftlichen Ebene bewerten können; die Dauer der eigenen Nutzung von Plattformen kritisch bewerten können.
Zentrale theoretische Annahmen über Kompetenz
Algorithm Literacy lässt sich als Bereich von Digital oder auch Media Literacy verstehen, da sie diesen Konzepten in zentralen Annahmen ähnelt (beispielsweise in der Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung). Angelehnt an Arbeiten von Dogruel et al. (2022) und Swart (2021) umfasst Algorithm Literacy das Bewusstsein sowie Kenntnisse darüber, wie Algorithmen funktionieren. Darüber hinaus sind Fähigkeiten zu nennen, Algorithmen oder deren Ergebnisse kritisch bewerten sowie sich aktiv mit ihnen auseinandersetzen zu können. Dadurch sollen Menschen in der Lage sein, gewissenhaft, sozial verantwortlich und selbstbestimmt in Bezug auf Algorithmen zu handeln. Algorithm Literacy eignen sich Menschen nicht nur in Bildungskontexten an, sondern sie wird im alltäglichen Umgang mit Algorithmen entwickelt.
Perspektive der Kompetenzträger*innen auf Kompetenz einbezogen?
keine Angabe
Lebenskontexte der Kompetenzträger*innen einbezogen?
Algorithm Literacy scheint stark damit zusammenzuhängen, inwiefern eine Person bereits Erfahrung mit Social-Media-Plattformen gemacht hat. Auch das Alter wird als relevant erachtet. So beschreibt der Autor, dass vor allem Jugendliche sich der Präsenz von Algorithmen bewusster sind. Bei der Auswahl der Stichprobe wurde darauf geachtet, sowohl Kinder aus städtischen als auch ländlichen Gebieten einzubeziehen sowie Schulen aus Gebieten mit wenigen als auch vielen gesellschaftlichen Problemlagen.
Herausforderungen der Erfassung von Kompetenz
Angesichts der Opazität algorithmischer Empfehlungssysteme ist es notwendig empirische Methoden zu wählen, mit denen sich untersuchen lässt, wie Menschen den Umgang mit solchen Systemen erfahren und erleben. Mithilfe von Gruppendiskussionen ist es dem Autor gelungen, Hypothesen über Algorithm Literacy der befragten Kinder zu formulieren. Die Studie kann jedoch keine Aussagen über das Kompetenzniveau der Kinder geben. Zudem müsste geprüft werden, inwiefern sich die Ergebnisse in ähnlicher Art in anderen Ländern widerspiegeln oder in Bezug auf andere Plattformen als YouTube.
Zentrale empirische Befunde über Kompetenz
Algorithm Literacy der befragten Grundschulkinder wird auf drei Ebenen sichtbar: Erstens verstehen sie algorithmische Empfehlungen als Ergebnis von Interaktion mit dem System (entweder ihrer eigenen oder dem anderer, beispielsweise von Familienmitgliedern). Zweitens verstehen sie solche Systeme als Auslöser negativer Emotionen und drittens als Ausdruck eines Geschäftsmodells. Die Reflexionen der Kinder über algorithmische Empfehlungssysteme als Ergebnis der Interaktion mit diesen zeigen ein allgemeines Bewusstsein dafür, dass Inhalte kuratiert werden. Die Vielzahl der von den Kindern genannten Aspekte deutet auf Wissen über den netzwerkartigen Charakter algorithmischer Empfehlungssysteme hin. Das Sprechen über die Emotionen, die die Kinder während der Nutzung von YouTube-Empfehlungen empfinden, ist ein weiterer Aspekt von Algorithm Literacy. Die Emotionen bezüglich der angezeigten Inhalte fördern die Auseinandersetzung mit dem Aufbau solcher Systeme und macht Wissen über diese sichtbar. Kinder zeigten ein Bewusstsein für die emotionalen Auswirkungen algorithmischer Empfehlungen, insbesondere für solche, die sich negativ auf sie auswirkten. Die Ergebnisse zeigen zudem ein allgemeines Bewusstsein dafür, dass Videoempfehlungen auf YouTube in wirtschaftliche Interessen eingebettet sind. Die Überlegungen zur Bedeutung der Aufmerksamkeit der Nutzer*innen deuten auf ein ausgeprägtes Wissen über die Aufmerksamkeitsökonomie von Plattformen hin, einschließlich der Betrachtung von Werbung als Einnahmequelle. Dabei bewerten die Kinder die Macht von Technologieunternehmen kritisch.
Quellenangabe
Ernst, J. (2024). Understanding algorithmic recommendations. A qualitative study on children’s algorithm literacy in Switzerland. Information, Communication & Society, 28(11), 1945–1961. https://doi.org/10.1080/1369118X.2024.2382224