Digitale Lernwerkstatt als Konzept zur Förderung der digitalen Medienkompetenzen älterer Menschen. Eine qualitative und quantitative Evaluationsstudie
Kurzbeschreibung
Der Beitrag stellt eine im Rahmen des Projekts „DigiKomS“ durchgeführte Studie vor, die zum Anliegen hatte, eine digitale Lernwerkstatt zu evaluieren, mit der Menschen ab 70 Jahren bei der Entwicklung digitaler Kompetenzen unterstützt werden sollen. Hintergrund ist, dass die Autor*innen befinden, dass (inter-)nationale Lernangebote altersgerechte pädagogische Ansätze wie das entdeckende, selbstgesteuerte und erfahrungsorientierte Lernen, das im Konzept der Lernwerkstatt eine zentrale Rolle spielt, nur unzureichend umsetzten. In einer Evaluation der digitalen Lernwerkstatt betrachten die Autor*innen vor allem die Ebenen des Lernens (Aufbau digitaler Medienkompetenzen) und des Verhaltens (also die Häufigkeit der Mediennutzung). Das Feedback der Teilnehmenden sowie der Lernbegleiter*innen veranschaulicht, dass die Lernwerkstatt dazu beigetragen hat, Angst der älteren Menschen im Umgang mit digitalen Medien zu verringern, eine positive Einstellung zu entwickeln, ihre Selbstwirksamkeit und ihre digitalen Kompetenzen zu stärken und soziale Teilhabe zu erleben. Jedoch fiel es den Lernbegleiter*innen nicht immer leicht, auf direkte Hilfestellungen und 1:1-Anleitungen zu verzichten.
Annahmen über die Folgen der Digitalisierung
Die regelmäßige Nutzung digitaler Medien wird von den Autor*innen als Voraussetzung für soziale Teilhabe älterer Menschen bewertet. Soziale Teilhabe wird dabei sowohl an der Partizipation am kulturellen und wirtschaftlichen Leben als auch an der Pflege persönlicher Netzwerke zur Vermeidung von Einsamkeit festgemacht. Die Digitalisierung verändert alle Lebensbereiche, analoge Alternativen werden zunehmend seltener. Die digitale Kluft löst sich dabei jedoch nicht von selbst auf, vor allem da die Digitalisierung auch weiterhin nicht an Dynamik verliert. Nur wenn ältere Menschen durch entsprechende Lern- und Bildungsangebote beim Digitalkompetenzerwerb, etwa von Vereinen, Gemeinden, Volkshochschulen, unterstützt werden, lässt sich ihre soziale Inklusion und Teilhabe sicherstellen.
Kompetenzanforderungen
Im Mittelpunkt der digitalen Lernwerkstatt steht die instrumentell-qualifikatorische Dimension von digitaler Medienkompetenz (zum Beispiel der haptische Umgang mit Touchscreen oder die Kenntnis der Funktionen von Apps), die kritisch-reflexive Dimension in Bezug auf Problemlösungsfähigkeit und den Umgang mit möglichen Sicherheitsrisiken bei der Nutzung von Online-Diensten sowie die affektive Dimension von Medienkompetenz (der Umgang mit Ängsten sowie die persönliche Einstellung zur digitalen Mediennutzung). Aber auch die Förderung bestimmter kognitiver (Online-Recherche) und sozialer Fähigkeiten wie etwa das kollaborative Zusammenarbeiten spielte eine nicht unwesentliche Rolle.
Kompetenzbegriffe (nach dem Papier)
Digitale Kompetenzen | Digitale Medienkompetenzen
Unterdimensionen (nach dem Papier)
Medienwissen,
medienspezifische Rezeptionsmuster,
medienbezogene Kritikfähigkeit,
Selektion und Kombination von Mediennutzung,
produktive Partizipationsmuster,
Anschlusskommunikation
Kompetenzdimensionen (nach dem Rahmenkonzept von Digitales Deutschland)
Instrumentell-qualifikatorische Dimension: Digitale Medien nutzen; Selektion und Kombination von Mediennutzung; Bedienung von Tablets und Apps; Umgang mit Touchscreen; die Funktionalitäten von Apps kennen; Probleme bei der Bedienung der Tablets und Apps selbstständig bewältigen; Umgang mit „festgefahrenen“ Tablets; neue Anwendungen auffinden und installieren; Gäste zu Kalenderevents einladen.
Kognitive Dimension: Medienwissen; medienspezifische Rezeptionsmuster; Google-Suche per Wort-, Bild- und Spracheingabe; Pflanzen mit Hilfe von Google Lens bestimmen; Informationen online recherchieren.
Affektive Dimension: Ängste im Umgang mit digitalen Medien abbauen; positive Einstellung zu digitalen Medien; Umgang mit negativen Emotionen.
Kreative Dimension: Produktive Partizipationsmuster;.
Soziale Dimension: Anschlusskommunikation; E-Mails schreiben; kollaborativ Aufgaben lösen.
Kritisch-reflexive Dimension: Medienbezogene Kritikfähigkeit; Probleme aus der analogen Welt mit digitalen Medien lösen; mit Sicherheitsrisiken umgehen können (Internetkriminalität, Online-Banking).
Zentrale theoretische Annahmen über Kompetenz
keine Angabe
Perspektive der Kompetenzträger*innen auf Kompetenz einbezogen?
keine Angabe
Lebenskontexte der Kompetenzträger*innen einbezogen?
Die Gruppe älterer Menschen ist sehr heterogen, vor allem in Bezug auf ihre Bedürfnisse, Interessen und bisherigen Lernerfahrungen. Ältere Menschen weisen alters- und gesundheitsbedingt sehr unterschiedliche Lerngeschwindigkeiten auf. Mit Blick auf den Erwerb digitaler Kompetenzen müssen all diese Faktoren beachtet werden. Entsprechend gilt es den Raum der Lernwerkstatt abgestimmt auf die Teilnehmenden zu gestalten, um Lernprozesse anzuregen. Vor allem ältere Menschen zeigen Ängste im Umgang mit digitalen Medien, beispielsweise die Angst, ein Gerät durch unsachgemäße Bedienung kaputt zu machen. Daher ist es essentiell, dass Lernbegleiter*innen die älteren Teilnehmenden aktiv dabei unterstützen, ihnen mögliche Ängste im Umgang mit digitalen Medien zu nehmen, damit sie eine positive Technik-Einstellung kultivieren und digitale Medien auch zukünftig gerne nutzen. Lernbegleiter*innen sollten bei der Kompetenzvermittlung älteren Menschen mehr zutrauen, als es üblicherweise getan werde. Durch den Ausstieg aus dem Berufsleben sind ältere Menschen von der Gefahr der sozialen Exklusion durch eine Nichtnutzung digitaler Medien betroffen. Sie wenden sich nach dem Renteneintritt eher selbstgewählten, alltagsrelevanten und digitalorientierten Themen zu, weshalb Lernprozesse auf intrinsischer Motivation beruhen sollten. Die Mehrzahl der Teilnehmenden der digitalen Lernwerkstatt lebt in Privathaushalten, nur wenige in institutionalisierten Formen der Altenhilfe (z.B. betreutes Wohnen).
Herausforderungen der Erfassung von Kompetenz
Da nur Ad-hoc-Stichproben untersucht werden konnten, empfehlen die Autor*innen, zukünftig größere Stichproben mit entsprechenden zufallsgesteuerten Auswahlverfahren zu akquirieren, um die Heterogenität der Zielgruppe angemessener abzubilden. Zudem sollten zukünftig Testverfahren eingesetzt werden, in denen die Lernenden typische Aufgaben aus dem Kontext der digitalen Mediennutzung lösen sollen. Denn die Medienkompetenzerfassung auf Basis subjektiver Selbsteinschätzungen bringt Limitationen mit sich. Aufgrund der Schnelligkeit technologischer Innovationen sollten Wissenschaftler*innen dabei auf pragmatische Weise valide und angepasste Tests bereitzustellen. Da bei der Zielgruppe alters- und gesundheitsbedingte Einschränkungen in der Motorik, Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Kognition zu berücksichtigen sind, sollte eine ausgedehnte Messung sorgsam abgwogen werden. So zeigte der Einsatz der in der digitalen Lernwerkstatt verwendeten Messinstrumente, dass einige Proband*innen diese nicht akzeptierten oder teilweise überfordert waren.
Zentrale empirische Befunde über Kompetenz
Die Mehrheit der älteren Teilnehmenden der digitalen Lernwerkstatt zeigt sich (sehr) zufrieden mit dem Bildungsangebot. Sie verfügten nach der digitalen Lernwerkstatt über eine positivere Einstellung zur digitalen Mediennutzung, eine signifikant erhöhte Selbstwirksamkeitserwartung und eine verbesserte Wahrnehmung der eigenen digitalen Medienkompetenz. 75 Prozent gaben an, dass ihr Verständnis von digitalen Medien nach der Teilnahme an der digitalen Lernwerkstatt gestiegen sei und die Hälfte, sich nun besser in die Gesellschaft eingebunden zu fühlen. (20 Prozent der Befragten hatten vor der digitalen Lernwerkstatt nicht das Gefühl, sozial ausgegrenzt zu sein.) Auch die Ängste im Umgang mit digitalen Medien konnte durch die Teilnahme an der Lernwerkstatt signifikant reduziert werden. Die Lernbegleiter*innen wiederum kamen in ihren Beobachtungen zu dem Schluss, dass sich das Bedienwissen der Teilnehmenden nach dem dreiwöchigen Angebot deutlich verbessert hat, was sich in einer sichereren, schnelleren und zielorientierteren Handhabung von Tablets und Apps bemerkbar machte.
Quellenangabe
Martins, E., Wolfert, P., Taube, G., Elss, V. I., & Marggraff, M. (2024). Digitale Lernwerkstatt als Konzept zur Förderung der digitalen Medienkompetenzen älterer Menschen. Eine qualitative und quantitative Evaluationsstudie. Wirtschaftspsychologie, 26(3/4), 183–199. https://doi.org/10.2440/004-0036