Sicherheit im digitalen Raum – Vom Individuum bis zur Geopolitik
Autorin: Cornelia Bogen
Kaum ein anderer Lebensbereich verbindet individuelles Verhalten, gesellschaftliche Aushandlungsprozesse und geopolitische Machtfragen so eng wie die digitale Welt. Wer heute ein Smartphone in die Hand nimmt, bewegt sich gleichzeitig im Klassenraum oder Büro, im öffentlichen Diskursraum und auf dem globalen Spielfeld internationaler Technologiepolitik. Genau deshalb ist „Sicherheit“ in digitalen Räumen alles andere als ein technisches Detail: Sie ist ein komplexes, mehrstufiges Phänomen, das unterschiedliche Akteur*innen und Ebenen gleichermaßen betrifft.
Auf der Mikroebene geht es um den Schutz vulnerabler Gruppen wie Schüler*innen – etwa vor sinkender Konzentrationsfähigkeit oder Cybermobbing. Solche Risiken werden häufig in Anschlag gebracht, um Alterskontrollen für Social Media oder Verbote privater Handynutzung in Schulen einzelner Bundesländer zu begründen (Brand 2025).
Doch die Debatte reicht weit über pädagogische Fragen hinaus. Auch der zivilgesellschaftliche Diskurs – und damit der Schutz der Grundrechte aller EU-Bürger*innen – steht unter Druck. Die Verfahren der EU gegen US-amerikanische IT-Giganten wie Meta, Google, Apple oder X wegen Falschnachrichten oder mutmaßlicher Kartellrechtsverstöße verdeutlichen das (Feld 2025).
Und schließlich umfasst digitale Sicherheit auch den Schutz kritischer Infrastruktur, sichtbar etwa im Ausschluss chinesischer Anbieter wie Huawei vom 5G-Ausbau in Australien, den USA und teilweise in Deutschland (Brenner 2024).
Eine sichere Nutzung digitaler Technologien setzt somit beim Individuum an und streckt sich hin bis zur Geopolitik. Der folgende Beitrag argumentiert, diese drei Ebenen – die Mikroebene der Medienbildung (Deutschland), die Mesoebene der Technologieentwicklung (Europa) und die Makro-Ebene der Internetregulierung (global) – konsequent gemeinsam in den Blick zu nehmen.
Mikro-Ebene: Medienbildung
Eine sichere und kritische Nutzung digitaler Plattformen setzt Medienkompetenz als Bündel verschiedener Fähigkeiten im Medienumgang voraus, wie sie im EU-Rahmenkonzept für Digitalkompetenz dargelegt sind (Vuorikari et al. 2022, S. 4; KMK 2016, S. 16-19). Doch jene Fähigkeiten sind in der deutschen Bevölkerung eher schlecht ausgeprägt. So können deutsche Jugendliche im OECD-Vergleich die Glaubwürdigkeit von Online-Informationen nicht angemessen beurteilen (Kastorff et al. 2025, S. 19) und jeder vierte verspürt laut Pisa-Studie (2022) im Unterricht den Druck, eingehende Nachrichten auf dem Handy kontrollieren zu müssen (Brand 2025, S. 6). Die Strategie des Kultusministeriums, digitale Kompetenzen schulfachübergreifend zu vermitteln (KMK 2016, S. 12), ist bislang offenbar nicht aufgegangen. Deshalb hat eine Handvoll Bundesländer inzwischen das eigenständige Unterrichtsfach „Medienbildung“ eingeführt. Eine systematische Verankerung als Schulfach mit eigenem Curriculum sollte jedoch auf bundesweiter Ebene angestrebt werden. Zudem ist zu empfehlen, Medienbildung systematischer in die Erwachsenenbildung zu integrieren. Denn nicht nur die Lehrkräfte fühlen sich im beruflichen Umgang mit KI-Tools unsicher und sehen große Fortbildungsbedarfe (Robert Bosch Stiftung 2025). Vielmehr zeigt sich im EU-Vergleich, dass weniger als die Hälfte der deutschen Bevölkerung über digitale Grundkompetenzen verfügt (Europäische Kommission 2022, S. 24).
Meso-Ebene: Europäische Technologieentwicklung
Um vertrauenswürdige Online-Umgebungen zu ermöglichen, räumt das EU-Gesetz über digitale Dienste (DSA: Digital Services Act) Nutzer*innen u.a. das Recht ein, Desinformation oder Hassrede anzuzeigen. Der unter der gegenwärtigen Trump-Regierung von U.S.-amerikanischen Plattformbetreibern (Meta, X, Apple, Google) forcierte Rückbau der unabhängigen Faktenprüfung von Online-Inhalten zeigt jedoch, dass laufende Rechtsstreitigkeiten zu einem Dauerbeschäftigungsprogramm für die EU-Kommission werden könnten. Zudem hinkt der Rechtsschutz häufig der technologischen Entwicklung hinterher, wie der Fall von Frankreich zeigt. Die dort eingeführte Alterskontrolle für die Nutzung sozialer Netzwerke kann nicht ausreichend umgesetzt werden, weil es dafür an technischen Lösungen mangelt. Langfristig muss die EU daher die eigene technologische Souveränität anstreben, um das EU-Recht effizienter durchzusetzen.
Das EU-Gesetz über digitale Märkte (DMA: Digital Markets Act) möchte für kleinere europäische Anbieter und Start-ups verbesserte Wettbewerbsbedingungen schaffen. Doch die bislang existierenden europäischen Alternativen für digitale Produkte und Dienstleistungen wie etwa Microblogging-Dienste, Social-Media-Plattformen oder Suchmaschinen (European Alternatives 2025) sind derzeit nur Nischenanbieter. Hingegen erfreuen sich U.S.-amerikanische Social Media-Plattformen wie Facebook, Twitter und Instagram bei deutschen Bürger*innen einer bislang ungebrochenen Beliebtheit (Statista 2025). Bei den 14-29-Jährigen verzeichnet zudem die TikTok-Videoplattform des chinesischen Anbieters Bytedance kontinuierliche Zuwachsraten (Koch 2023, S. 3-4).
Ein Abwanderung europäischer Nutzer*innen hin zu Diensten, die von in der EU ansässigen Unternehmen angeboten oder auf EU-Servern gehostet werden, kann mitunter nur dann gelingen, wenn Nutzer*innen von den Werten überzeugt sind, für die diese Dienste stehen. Viele europäischen Alternativen sind als Teil des sogenannten Fediverse dezentral und quelloffen, verzichten zum Zweck des Datenschutzes auf Profiling und Tracking (z.B. Suchmaschinen wie Qwant oder Ecosia), verpflichten sich der Nachhaltigkeit (z.B. datensparsame E-Mail-Dienste wie Posteo) und kommen ohne Werbung und algorithmische Kuration aus (z.B. Microblogging-Service Mastodon; Foto- und Video-Plattform Pixelfed). Doch selbst wenn EU-Bürger*innen davon überzeugt sind, dass ihnen die Nutzung solcher Alternativen eine gewisse Datensouveränität und eine eigene Schwerpunktsetzung bei der Moderation von Inhalten zurückgibt, sollte die Qualität und Nutzerfreundlichkeit dieser Dienste dauerhaft gewährleistet sein. Dafür müssen zukünftig doppelt so viele Fachkräfte bzw. ICT-Systemspezialist*innen in Europa ausgebildet werden als es bislang der Fall ist (Europäische Kommission 2022, S. 26).
Makro-Ebene: Globale Internetregulierung
Die EU hat im Jahr 2022 die U.S.-amerikanische „Deklaration zur Zukunft des Internets“ unterzeichnet und sich damit zu den darin zugrunde gelegten Werten sowie gegen den Zerfall des Internets in verschiedene Splinternets ausgesprochen. Dieser Vorstoß blieb von China nicht unkommentiert, woraufhin Xi Jinping seine eigene Vorstellung zur Zukunft des Cyberspace darlegte (Bogen 2023, S. 126-127). Bekennt sich Europa weiterhin zur U.S.-Deklaration, jetzt, wo sich die USA als Demokratie allmählich selbst abschafft und die Bedeutung von Meinungs- und Informationsfreiheit unterschiedlich auslegt? Die EU hofft darauf, dass ihre Allgemeine Datenschutzverordnung (2018) und ihr KI-Gesetz (2021) zu „einem globalen Standard“ werden (Institut Zukunft des Lebens 2025). Doch solange die EU selbst nicht technologisch souverän ist und eine eigene Vision zur Zukunft des Internets vorlegt, wird sie kaum die rechtlichen Rahmenbedingungen einer globalen Internetregulierung mitbestimmen können.
Fazit
Der kürzlich stattgefundene Europäische Gipfel zur digitalen Souveränität ist ein (verspäteter) Schritt, um die Datenhoheit zukünftig weder kommerziellen US-amerikanischen noch staatlich gelenkten chinesischen IT-Konzernen zu überlassen. Doch um sich im digitalen Raum sicher und grundrechteorientiert bewegen zu können, sind Nutzer*innen in Europa auch auf die eigenen Medienkompetenzen und entsprechende strukturelle Rahmenbedingungen der Medienbildung angewiesen, die in einzelnen EU-Ländern teilweise noch suboptimal sind. Darüber hinaus bleibt offen, welche konkreten europäischen Werte sowohl in die eigene Tech-Infrastruktur als auch in die globale Internetregulierung eingeschrieben werden sollen.
Zitationsvorschlag
Bogen, C. (2025). Sicherheit im digitalen Raum – Vom Individuum bis zur Geopolitik. Blog-Beitrag auf der Projektwebsite von Digitales Deutschland, online verfügbar unter https://digid.jff.de/sicherheit-im-digitalen-raum-vom-individuum-bis-zur-geopolitik/
Literatur
Bogen, C. (2023). Overcoming modernity? How China’s splinternet reinforces the impact of geography in global internet governance. Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften 23(2), S. 103-144. DOI: 10.25969/MEDIAREP/21637. https://mediarep.org/handle/doc/22877
Brand, A. (25.09.2025). Handyverbot an Schulen – ja oder nein: Was sagen die Studien? Deutsches Schulportal der Robert Bosch Stiftung. https://deutsches-schulportal.de/schulkultur/handyverbot-an-schulen-ja-oder-nein-was-sagen-die-studien/
Brenner, T. (23. Juli 2024). 5G und Huawei: Anatomie eines Politikversagens. Internationale Politik. Das Magazin für globales Denken. https://internationalepolitik.de/de/5g-und-huawei-anatomie-eines-politikversagens
Europäische Kommission (2022). Digital Economy and Society Index (DESI) 2022. https://digital-strategy.ec.europa.eu/de/policies/desi
European Alternatives (2025). Europäische Alternativen für beliebte Dienste. https://european-alternatives.eu/de/alternativen-zu
Feld, C. (25.01.2025). Zensiert die EU die Internet-Plattformen? Tagesschau. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/eu-dsa-plattformen-zensur-100.html
Institut Zukunft des Lebens (2025). Das EU-Gesetz zur künstlichen Intelligenz. Aktuelle Entwicklungen und Analysen des EU AI-Gesetzes. https://artificialintelligenceact.eu/de/
Kastorff, T., Müller,M., Selva, C., Greiff, S., & Moser, S. (2025). Fake News oder Fakten? Wie Jugendliche ihre digitale Informationskompetenz einschätzen und welche Rolle Schulen und Lehrkräfte dabei spielen. Erkenntnisse aus PISA 2022. https://www.waxmann.com/shop/download?tx_p2waxmann_download%5Baction%5D=download&tx_p2waxmann_download%5Bbuchnr%5D=4993&tx_p2waxmann_download%5Bcontroller%5D=Zeitschrift&cHash=d1216382ec54a9d862801301fd6706c5
Koch, W. (2023). Soziale Medien werden 30 Minuten am Tag genutzt – Instagram ist die Plattform Nummer eins. Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2023. Media Perspektiven 26. https://www.ard-zdf-onlinestudie.de/files/2023/MP_26_2023_Onlinestudie_2023_Social_Media.pdf
KMK (2016). Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 08.12.2016 in der Fassung vom 07.12.2017. https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2018/Digitalstrategie_2017_mit_Weiterbildung.pdf
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Statista (2025). Marktanteile von Social-Media-Portalen in Deutschland von Juni 2021 bis November 2025. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/559470/umfrage/marktanteile-von-social-media-seiten-in-deutschland/
Vuorikari, R., Kluzer, S., & Punie, Y. (2022). DigComp 2.2. The Digital Competence Framework for Citizens – With new examples of knowledge, skills and attitudes. Publications Office of the European Union. doi:10.2760/115376, JRC128415. https://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/handle/JRC128415