Data Literacy als Gegenstand der Erwachsenenbildung – eine Programmanalyse

Kurzbeschreibung

Inwiefern hat die formelle Erwachsenenbildung in Deutschland dem zunehmenden Bedarf nach Data Literacy im letzten Jahrzehnt Rechnung getragen? Um diese Frage zu beantworten, untersuchen die Autor*innen die inhaltliche Ausrichtung verschiedener Programme an Volkshochschulen bezüglich der Frage, ob sie Angebote zur Förderung von Data Literacy unterbreiten. Im Ergebnis zeigt sich, dass Schulungen zum Thema Daten angeboten werden und auch im Zeitverlauf zugenommen haben. Gleichzeitig wird die Förderung von Data Literacy thematisch verkürzt, da entsprechende Schulungen vornehmlich Aspekte von Datensicherheit und -schutz umfassen. Folglich sollten erstens entsprechende Angebote flächendeckend ausgebaut und zweitens anwendungsorientierter und allgemeinbildender ausgerichtet werden. Sie sollten sich also nicht auf Sicherheitsfragen beschränken, sondern Data Literacy in ihrer Vielfalt zum Thema zu machen.

Annahmen über die Folgen der Digitalisierung

Die Digitalisierung und Datafizierung – das heißt die Zunahme generierter und verarbeiteter Daten – verändert sämtliche Lebensbereiche und wird durch datenintensive Technologien (wie zum Beispiel soziale Medien) beschleunigt. Dadurch gewinnen datenbezogene Kompetenzen an Bedeutung – sowohl für Bildungspraktiker*innen als auch Lernende. Nutzende stehen vor der Herausforderung, souverän mit Daten zu interagieren, um handlungsfähig zu bleiben und am öffentlichen Leben teilzuhaben. Deshalb hat die deutsche Regierung Datenkompetenz der Bürger*innen als Ziel fokussiert. Vor allem im Hochschulbereich sind in den vergangenen Jahren Module zur Förderung der Datenkompetenzen entwickelt worden. Sie werden aber auch außerhalb der Universität gefördert. Denn angesichts der Digitalisierung gehört es zu den Aufgaben der Erwachsenenbildung, Erwachsene beim Erwerb von Data Literacy zu unterstützen. Dazu müssen professionelle Bildungspraktiker*innen digitale, datenbasierte Lernumgebungen entwicklen, die rechtlichen Bedingungen zum Datenschutz entsprechen. Demnach führt die Digitalisierung auch zu neuen Herausforderungen für die Gestaltung von Bildungsangeboten.

Kompetenzanforderungen

Im Beitrag werden sowohl Kompetenzanforderungen an erwachsene Nutzer*innen als auch speziell an Lehrende formuliert. Erstere sollen Daten im eigenen Alltag oder im beruflichen Kontext sammeln, verwalten, auswerten und kritisch-reflektiert nutzen können. Sie müssen mit rechtlichen Bedingungen zum Datenschutz vertraut sein, in der Lage sein, sich zu positionieren und gesellschaftliche Probleme zu identifizieren, indem sie Daten interpretieren. Hinzu kommt die Fähigkeit zur Datenkritik. Mit Blick auf Reflexion finden sich zahlreiche Beispiele: Kompetenzträger*innen sollen etwa Datenpraktiken und kritische Szenarien der Datennutzung reflektieren können, souverän in datenbezogenen Fragen agieren (zum Beispiel, wenn es um die Weitergabe von Daten in sozialen Medien und Gesundheits-Apps geht) und sich ein begründetes Urteil bilden können, etwa zu datenbasierten Geschäftsmodellen in der globalen Internetökonomie oder zu algorithmischen Entscheidungen. Lehrende an der Volkshochschule sollten in der Lage sein, bei der Beschaffung, Konfiguration und Nutzung von Software datenbezogene Entscheidungen zu treffen. Sie sollten zudem anwendungsorientierte Bildungsangebote unterbreiten, die Data Literacy umfassend adressieren.

Kompetenzbegriffe (nach dem Papier)

Data Literacy

Unterdimensionen (nach dem Papier)

Daten und Information,
Datenspeicherung und -zugang,
Datenanalyse,
Datenethik und -schutz (Grillenberger und Romeike 2018),
produktive Prozessschritte,
rezeptive, dekodierende Prozessschritte (Schüller 2019),
Wahrnehmungsfähigkeit,
Decodierungsfähigkeit,
Analysefähigkeit,
Reflexionsfähigkeit,
Urteilsfähigkeit,
Handlungs- und Partizipationsfähigkeit (Dander 2014)

Kompetenzdimensionen (nach dem Rahmenkonzept von Digitales Deutschland)

Instrumentell-qualifikatorische Dimension: Daten nutzen und bereitstellen; Daten bearbeiten, umwandeln, nachbearbeiten, archivieren und löschen; Daten schützen; Datensicherheit einhalten; Daten(-anwendung) modellieren und bereinigen.

Kognitive Dimension: Grundlagenwissen zu Daten; rechtliche Rahmenbedingungen zum Umgang mit Daten verstehen; Daten sammeln; Daten managen, u.a. organisieren; Daten verifizieren; Daten analysieren und interpretieren; Standardisierung entschlüsseln; Datenbeschaffung rückverfolgen, Datenkontext rekonstruieren; verschiedene - insbesondere nicht-sprachliche - Zeichensysteme verstehen; Datensätze unterscheiden, zuordnen und interpretieren; Datenquellen identifizieren; Daten integrieren; Datenanwendung identifizieren, spezifizieren und koordinieren.

Kreative Dimension: Daten visualisieren; Daten aufbereiten; Datenmodelle und Algorithmen implementieren und optimieren.

Soziale Dimension: Daten teilen; Daten präsentieren; Daten verbalisieren.

Kritisch-reflexive Dimension: Daten bewerten; Daten als Entscheidungsgrundlage nehmen; Probleme identifizieren; Datenpraktiken ethisch und kritisch reflektieren; sich distanziert und kritisch selbst im Datenraum verorten; Datenkritik; sich Daten zu Nutze machen; Bezüge von Daten zu gesellschaftlichen Alltagsfragen herstellen; reale Probleme durch Dateninterpretation adressieren; komplexe, gesellschaftlich relevante Phänomene mit Hilfe von Daten verstehen; ethische Werthaltungen in Bezug auf die Datennutzung ausbilden; fachlich-analytische und persönliche Urteile mit Bezug zu verschiedenen Wertesystemen bilden; Handlungsmöglichkeiten identifizieren, datengetrieben handeln und die Wirkung evaluieren; Daten als prägende Phänomene der digitalen Gesellschaft wahrnehmen; Medienhandeln entlang selbst gewählter, positiver Kriterien, z.B. Veränderung kritischer Aspekte von Systemen der Datenzirkulation.

Zentrale theoretische Annahmen über Kompetenz

Data Literacy stellt eine 21st Century Skill dar, also eine Kompetenz, der für die Zukunft große Bedeutung zugeschrieben wird. Sie wird aufgrund verschiedener Definitionen häufig als Synonym oder Bestandteil von Digital, Information oder Media Literacy verwendet. Data Literacy hat Eingang in verschiedene Kompetenzmodelle gefunden, die nicht immer genau “informations-” und “daten”-bezogene Kompetenzen voneinander unterscheiden. Die wohl am häufigsten zitierte Definition von Chantel Ridsdale et al. beschreibt Data Literacy als Fähigkeit, Daten zu sammeln, zu verwalten, zu analysieren und in kritischer Form anzuwenden (S. 125). Diesem Kompetenzmodell liegt ein instrumentelles, anwendungsbezogenes Verständnis zu Grunde, während andere statistikorientiert sind und Bezüge zu gesellschaftlichen Alltagsfragen aufmachen. Letztere erachten eine nutzer*innenbezogene Datenanalyse und -interpretation als essentiell für das Verständnis gesellschaftlicher und globaler Herausforderungen (zum Beispiel dem Klimawandel). Ein Beispiel dafür ist etwa das Konzept von Katharina Schüller und Kolleg*innen. Die medienpädagogische Forschung wiederum fasst Datenkritik als zentrale Kompetenz auf. In verschiedenen Fachdisziplinen liegt also ein unterschiedliches Begriffsverständnis vor. Data Literacy sollte allerdings als mehrdimensionales Phänomen aufgefasst werden. Zudem unterscheiden verschiedene Kompetenzmodelle implizit zwischen einem aktiven (sich die Datafizierung strategisch zu Nutze machen) und einem kritisch-reflexiven Umgang mit Daten(-praktiken). Datenbezogene Kompetenzen werden auch zukünftig weiterhin einen zentralen Stellenwert in der Lebenswelt einnehmen. Erwirbt man im beruflichen Kontext entsprechende Kompetenzen, kann man diese potenziell auch in anderen Lebensbereichen anwenden.

Perspektive der Kompetenzträger*innen auf Kompetenz einbezogen?

keine Angabe

Lebenskontexte der Kompetenzträger*innen einbezogen?

Zur Eindämmung der digitalen Spaltung empfehlen die Autor*innen, dass Erwachsenenbildungsprogramme gezielt diejenigen adressieren, die aufgrund sozio-demografischer Merkmale über nur gering ausgeprägte Datenkompetenzen verfügen.

Herausforderungen der Erfassung von Kompetenz

keine Angabe

Zentrale empirische Befunde über Kompetenz

Nahezu alle analysierten Programme umfassten Angebote zu Data Literacy. In allen acht Volkshochschulen werden Fortbildungen zum Thema Daten angeboten und auch im Zeitverlauf haben diese zugenommen. Die Förderung von Data Literacy bezieht sich allerdings vornehmlich (mit rund 42 Prozent der Angebote) auf Aspekte der Datensicherheit und des Datenschutzes. Darauf folgen Angebote zur Arbeit mit Daten im privaten sowie beruflichen Bereich, zu Rechten bei der Datenverarbeitung, Einführungen ins Internet sowie Überblicke zu neuen technologischen Entwicklungen, wie zum Beispiel Künstliche Intelligenz. Welchen Raum Angebote zu Data Literacy einnehmen, ist zwischen den Volkshochschulen unterschiedlich. So haben in ländlicheren Gebieten entsprechende Angebote einen höheren Anteil am Gesamtprogramm als in urbanen Räumen.

Quellenangabe

Brinkmöller, A.-L., & Scheidig, F. (2024). Data Literacy als Gegenstand der Erwachsenenbildung – eine Programmanalyse. Zeitschrift für Weiterbildungsforschung – Report, 47, 123–144. https://doi.org/10.1007/s40955-023-00269-3

Zuletzt geändert am 27. Juni 2025.