Interaktionen mit soziotechnischen Systemen lernen – Geragogische Perspektive auf die Bedeutsamkeit von Wechselwirkungen und Beziehungen in Lernprozessen mit Älteren
Kurzbeschreibung
Der Beitrag wirft aus geragogischer Perspektive ein Schlaglicht auf die Digitalkompetenzen Älterer im Umgang mit KI-basierten Systemen. Im Haushalt integrierte soziotechnische Systeme wie Roboter können Ältere bei der Gestaltung des Alltags unterstützen und damit entlasten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Wie können komplexe Interaktionen zwischen Mensch und Techniksystem sinnvoll von entsprechenden bildungsbezogenen Begleitangeboten flankiert werden, um Ältere beim Kompetenzerwerb im Umgang mit diesen Systemen zu unterstützen? Diese Frage wird beispielhaft anhand des Einsatzes einer Roboter-Puppe im Alltag von Menschen, die mit Demenz leben, erörtert. Wie lassen sich Lernbedingungen zum Umgang mit soziotechnischen Systemen altersgerecht gestalten? Und welcher Technikkompetenzen bedarf es für Mensch-Robotik-Interaktionen? Die Autorinnen stellen dazu empirische Ergebnisse des Projekts „RUBYDemenz“ vor und beleuchten dabei die emotionalen Reaktionen der älteren Studienteilnehmenden. Basierend auf einem relationalen Verständnis von Bildungs- und Lernprozessen im Umgang mit soziotechnischen Systemen leiten sie daraus Prinzipien für die Aus- und Weiterbildung von Geragog*innen ab, damit sie die Technikaneignungsprozesse älterer Menschen kompetent begleiten können.
Annahmen über die Folgen der Digitalisierung
Technologische Systeme sind heute individualisierbar und können interaktiv genutzt werden. Solche Systeme versprechen vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten für ein gelingendes Altern. Diese KI-basierten Systeme sind zunehmend in soziale Systeme (wie zum Beispiel Haushalte oder betreutes Wohnen) integriert. Damit entwickeln sich auch neue Formen der Interaktion zwischen Menschen und Technik. Zugleich wirft der Einsatz solcher Systeme zahlreiche (ethische) Fragen auf, etwa: Welche Daten werden wo gespeichert? Inwiefern werden Daten geschützt und wie werden sie verarbeitet? Damit müssen sich Nutzende und deren Angehörige beschäftigen. Aus Sicht der Altersbildung stellt sich die Frage: Wie können Ältere bei der die Aneignung und dem Umgang mit soziotechnischen Systemen unterstützt werden? Zudem gilt es in der Forschung, das Wechselspiel von älteren Menschen und Techniksystemen dezidierter in den Blick zu nehmen.
Kompetenzanforderungen
Eine neue Herausforderung für Ältere im Umgang mit Technik wie einer Roboter-Puppe besteht darin, dass soziotechnische Systeme den Aufbau einer Beziehung mit den Nutzer*innen intendieren. Diese müssen also gezielt mit dem technischen System kommunizieren können. Zudem benötigen Kompetenzträger*innen Wissen über die Technik und wie sie zu bedinen ist. Sie müssen kritisch die Folgen reflektieren sowie die Technik nutzen und gestalten können. Zudem müssen sie dazu in der Lage sein, bislang gewohnte Praktiken neu zu lernen, umzulernen oder zu verlernen.
Kompetenzbegriffe (nach dem Papier)
Digitale Kompetenzen | Technikkompetenzen
Unterdimensionen (nach dem Papier)
Kognitive Dimension,
Handlungsdimension,
Gestaltungsdimension,
kritische wertbezogene Dimension
Kompetenzdimensionen (nach dem Rahmenkonzept von Digitales Deutschland)
Instrumentell-qualifikatorische Dimension: Bedienwissen; soziotechnische Systeme entsprechend den Funktionen aktiv und passiv im eigenen Lebenskontext, im Alltag gemäß eigenen Anliegen nutzen können; mit technischen Systemen kommunizieren und interagieren können.
Kognitive Dimension: Wissen zu Technik; wissen, wofür soziotechnische Systeme genutzt werden können – bezogen auf den eigenen Lebenskontext und im eigenen Alltag.
Kreative Dimension: Mit soziotechnischen Systemen gestaltend handeln – selbst und gemeinsam mit anderen.
Soziale Dimension: Mit soziotechnischen Systemen gestaltend handeln gemeinsam mit anderen (z.B. Technikentwickler*innen, Lernbegleiter*innen); Kommunikation und Interaktion mit soziotechnischen Systemen und mit Lernbegleiter*innen.
Kritisch-reflexive Dimension: Ethische Fragen reflektieren; über soziotechnische Systeme sowie deren Folgen urteilen können; sich kritisch damit auseinandersetzen können; persönliche und gesellschaftliche Folgen reflektieren und sich dazu positionieren können.
Zentrale theoretische Annahmen über Kompetenz
Die Autorinnen stellen den Begriff der Technikkompetenz in den Mittelpunkt. Dieser besteht in Anlehnung an Dieter Baackes Konzept zu Medienkompetenz aus verschiedenen Facetten. Da die hier beschriebenen technischen Systeme darauf ausgerichtet sind, Beziehungen zu Menschen aufzubauen, benötigten Ältere nicht nur Wissen, wie sich Sensoren oder Roboter bedienen lassen, sondern auch Gestaltungs- und Handlungskompetenz, um mit den soziotechnischen Systemen gezielt zu kommunizieren.
Perspektive der Kompetenzträger*innen auf Kompetenz einbezogen?
keine Angabe
Lebenskontexte der Kompetenzträger*innen einbezogen?
Die Autorinnen betonen, dass Menschen im höheren Lebensalter eine heterogene Gruppe bilden. In vorliegendem Text liegt der Fokus auf älteren Personen, die mit Demenz leben. Für sie verändert sich zwar durch die Erkrankung das häusliche Leben, aber dieses lässt sich durch den Einsatz soziotechnischer Systeme – beispielsweise zur Strukturierung des Alltags – positiv beeinflussen. Lernprozesse sind auch für Menschen, die mit Demenz leben, möglich. Sie müssen aber von Bildungsakteur*innen begleitet werden. Wie die Beziehung zu diesen Lernbegleiter*innen erlebt wird, ist essenziell für Offenheit, die Zuwendung zu Neuem, zur kritischen Reflexion und ggf. Veränderung des eigenen Verhaltens. Zugleich gilt es mitzudenken, dass soziotechnische Systeme ebenfalls ein Akteur im Lernprozess sind. Mögliche Reaktionen und Wechselwirkungen sollten bereits bei der Konzeption solcher Systeme bedacht werden. Denn wie solche Systeme erlebt werden und welche Emotionen sie auslösen, beeinflusst sowohl das Denken, die Motivation zur Nutzung als auch den Lernprozess.
Herausforderungen der Erfassung von Kompetenz
keine Angabe
Zentrale empirische Befunde über Kompetenz
Die Interaktion der älteren Studienteilnehmenden mit soziotechnischen Systemen muss von Lernbegleiter*innen moderiert werden. Dabei hat sich die gemeinsame Formulierung individueller Lernpfade bewährt, da sie sich positiv auf Prozesse des Techniklernens ausgewirkt hat. Lernen ist relational, das heißt, ein Prozess, der sich durch das „Ineinander von Selbst-, Welt und Anderenrelation ereignet“ (S. 105). Daher soll Lernen immer auch von der Beziehungsebene her gedacht werden. Denn die weitere Motivation, soziotechnische Systeme zu nutzen, wird nicht nur durch die Erfahrung der Älteren mit der Roboter-Interaktion beeinflusst, sondern auch durch die Beziehung, die die Älteren zu den Lernbegleiter*innen pflegen. Somit erscheinen Lernprozesse als Wechselwirkungsprozesse, die sich entscheidend auf das Lernen und das Lernergebnis auswirken. Geragog*innen sollten auf diese komplexen Prozesse in der Aus-, Fort- und Weiterbildung vorbereitet werden, um die Interaktion der Älteren mit soziotechnischen Systemen und die dabei ablaufenden Lernprozesse kompetent begleiten zu können.
Quellenangabe
Schramek, R., & Engler, S. (2024). Interaktionen mit soziotechnischen Systemen lernen. Geragogische Perspektive auf die Bedeutsamkeit von Wechselwirkungen und Beziehungen in Lernprozessen mit Älteren. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 57(2), 103-109. https://doi.org/10.1007/s00391-023-02274-0
Sonstige Anmerkungen
Die Reaktionen der Älteren, in deren Haushalten die Interaktion mit der Roboter-Puppe untersucht wurde, sind von den Lernbegleiter*innen beobachtet und aufgezeichnet worden. Ältere Menschen mit Demenzerkrankung zeigen zwar vielfältige Reaktionen im Umgang mit soziotechnischen Systemen, begegnen diesen aber mehrheitlich mit Neugier und Interesse. Die Reaktionen im weiteren Verlauf reichten von Freude, Sympathie über Irritation und Enttäuschung bis hin zu Langeweile, Ärger oder Frustration. Die Älteren nehmen die Roboter-Puppe vornehmlich als “Vertrauten” wahr.