Crank my engine – Aufwachsen mit algorithmischen Empfehlungen

Autor: Achim Lauber

Algorithmische Empfehlungen von Kindheit an

Ob Youtube, TikTok oder Spotify – Content Plattformen und Social Media nutzen algorithmische Empfehlungssysteme, die den Usern eine individuelle Auswahl an Inhalten anbieten. Sogenannte Recommendation Engines sind für Kinder von frühestem Alter an alltäglich und nicht wegzudenken. Dabei sind sie alles andere als passive Listen von Songs oder Clips – Recommendation Engines sind vielmehr interaktive und in gewissem Maße steuerbare KI-Werkzeuge. Nur, wie können Kinder und Jugendliche Algorithmen steuern? Oder sitzen tatsächlich die Anbieter der Engines am längeren Hebel? Und als was nehmen junge Menschen diese Schnittstellen wahr, die zwischen ihren eigenen Wünschen und einer scheinbar grenzenlosen Angebotsvielfalt in digitalen Medien stehen?

Werkzeuge, um riesige Datenmengen zu bewältigen

Ab dem zehnten Lebensjahr werden algorithmische Empfehlungssysteme für Kinder relevanter, da sie zunehmend Plattformen wie YouTube oder TikTok nutzen, eher ein eigenes Smartphone besitzen und Medien unabhängiger von den Eltern nutzen. Mit Blick auf die Technik sollte reflektiert werden: Algorithmische Empfehlungssysteme sind ein zentrales Element von Geschäftsmodellen und ihre Funktionsweise ist meist ein Geschäftsgeheimnis. Diese Technologien legen den User*innen bestimmte Formen der Nutzung näher als andere. Das bedeutet letztlich, dass eine von Algorithmen gefilterte Medienwelt anders aussieht als eine, die (nur) mit menschlichen Sinnen wahrgenommen wird. Wobei Letzteres aufgrund der riesigen Datenmengen eigentlich gar nicht mehr möglich ist.

Maschinen als Ansprechpartner

Eine Schweizer Studie zum Verstehen algorithmischer Empfehlungen bei jungen Menschen im Alter zwischen 11 und 13 Jahren zeigt, dass digitale Technologien in besonderer Weise sozialisationsrelevant werden, in dem sie Anteil haben an der Weltsicht von Kindern und Jugendlichen (Ernst 2024). In der Nutzung entwickeln sich typische Mensch-Technologie-Welt-Relationen, die einerseits in der Technologie angelegt sind und andererseits daraus hervorgehen, wie Menschen mit ihr handeln. In der Studie wurden verschiedene Relationen zu YouTubes algorithmischem Empfehlungssystem sichtbar. Dazu zählt auch, dass Recommendation Engines von jungen Menschen als (inter-)aktives Gegenüber, als signifikante Andere betrachtet werden. Sie weisen algorithmischen Empfehlungssystemen Bewusstsein, Aktivität und Handlungsfähigkeit zu und sie treten mit ihnen in Kontakt.

Neue Anforderungen an die Medienkompetenz junger Menschen

Eine Studie von Digitales Deutschland betrachtet die Kompetenzen von Kindern zwischen acht und elf Jahren im Umgang mit algorithmischen Empfehlungssystemen bei YouTube und TikTok (vgl. Schober et al. 2023). Die Ergebnisse zeigen, wie Kinder versuchen zu begreifen, wie die Empfehlungen von algorithmischen Systemen zustande kommen und wie ihr eigenes Verhalten und Handeln damit zusammenhängen. Sie entwickeln dabei Fähigkeiten zur bewusst gesteuerten Personalisierung der angezeigten Inhalte, die als neue Ausprägung von Medienkompetenz betrachtet werden müssen. Es wird deutlich, dass das Handeln mit Algorithmen vielfältige Anforderungen an die Medienkompetenz junger Menschen mit sich bringt – aber auch, dass die Bewältigung dieser Anforderungen dem positiven Medienhandeln und -erleben der Kinder zuträglich ist.

Kinder brauchen kompetente Begleitung beim Umgang mit algorithmischen Systemen

Auch Eltern und Pädagog*innen sind durch algorithmische Systeme in digitalen Medien herausgefordert. Sie wünschen sich Empfehlungen für ihr (medien-)erzieherisches Handeln und den Schutz ihrer Kinder vor Gefahren im Internet (wie bspw. Mobbing, die Konfrontation mit nicht kindgerechten Inhalten und exzessivem Medienkonsum). Eltern und Pädagog*innen sollten befähigt werden, ihre Kinder medienkompetent beim Umgang mit AES zu begleiten. Medien- und Digitalkompetenzförderung von Kindern in diesem Alter kann nur Hand in Hand mit Medien- und Digitalkompetenzförderung der erwachsenen Bezugspersonen funktionieren.

Literatur

Ernst, Julian (2024). Kind – Algorithmus – Welt. Postphänomenologische Analysen kindlicher Alltagserfahrungen mit YouTubes Recommendation Engine. MedienPädagogik, 357–378. https://doi.org/10.21240/mpaed/00/2024.09.13.X

Schober, Maximilian; Berg, Katja; Brüggen, Niels (2023): KI als „Wunscherfüller“? Kompetenzen von Kindern im Umgang mit algorithmischen Empfehlungssystemen. Qualitative Studie im Rahmen von „Digitales Deutschland“. Herausgegeben vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. München: kopaed. https://doi.org/10.5281/zenodo.10171264