Bildung und digitale Kompetenzen im Alter
Kurzbeschreibung
In der vorliegenden Studie geht es um die Internetnutzung und digitale Kompetenzen älterer Österreicher*innen. Einführend werden vier Kompetenzmodelle bezüglich ihrer Stärken und Schwächen verglichen. Da der Kompetenzbegriff darin nicht altersspezifisch gefasst ist, haben die Autor*innen ein eigenes Modell digitaler Kompetenzen und Praxisformen entwickelt. Es soll die Vielfalt digitaler Praktiken innerhalb der älteren Zielgruppe sichtbar machen. Auf Basis dieses Modells wurde eine repräsentative Telefonbefragung realisiert. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass eine altersgerechte Kompetenzförderung Ältere innerhalb niedrigschwelliger Formate sozialen Lernens dabei unterstützen sollte, digitale Technologien selbstbestimmt auszuprobieren, Inhalte zu gestalten und Chancen und Risiken digitaler Teilhabe kritisch zu reflektieren.
Annahmen über die Folgen der Digitalisierung
Altern findet zunehmend in digitalen Umgebungen statt. Ältere Menschen nutzen immer mehr digitale Technologien, wenn sie auch im Vergleich zu anderen Altersgruppen das Internet weniger häufig verwenden. Digitale Technologien können Autonomie und eine selbstständige Lebensführung im Alter unterstützen. Sie nicht zu nutzen, birgt das Risiko sozialer Isolation und verminderter Lebensqualität. Zugleich könnte sie zu prinzipieller Benachteiligung und zur Manifestation sozialer Ungleichheit führen. Vor dem Hintergrund einer digitalen Spaltung hat Forschung zu digitaler Kompetenz an Fahrt aufgenommen, vor allem im Bereich der Gerontologie.
Kompetenzanforderungen
Ältere Menschen stehen vor verschiedensten Kompetenzanforderungen. Sie müssen etwa darüber Bescheid wissen, wie digitale Medien funktionieren, um eine informierte Entscheidung darüber treffen zu können, ob man diese nutzt oder nicht. Hierzu müssen sie auch Chancen und Risiken der Technologienutzung einschätzen können. Ferner gilt es, diese Technologien zu nutzen (sowohl aktiv als auch passiv). Darüber hinaus sollen sie auch selbstständig Probleme im Umgang mit Technologien lösen oder sich soziale Unterstützung einholen können. Zudem müssen ältere Menschen Informationen suchen und bewerten können und mithilfe digitaler Technologien kommunizieren und kollaborieren. Daneben sollten sie dazu in der Lage sein, kreativ mit neuen Technologien umzugehen und sie nach ihren Wünschen zu gestalten. Dies ist schließlich verbunden mit Neugier, einer Bereitschaft zum Lernen und dem Drang zu Autonomie und Selbstbestimmtheit im Umgang mit digitalen Medien.
Kompetenzbegriffe (nach dem Papier)
Unterdimensionen (nach dem Papier)
Nutzungspraxis,
Informationspraxis,
Gestaltungspraxis,
Explorationspraxis,
Reflexionspraxis
Kompetenzdimensionen (nach dem Rahmenkonzept von Digitales Deutschland)
Instrumentell-qualifikatorische Dimension: Geräte bedienen können; Medien aktiv nutzen; sich bei Problemen mit Lösungen zu helfen zu wissen; gezielt eine Internetseite eingeben; E-Mails öffnen und verschicken; über das Internet telefonieren; Texte, Fotos im Internet speichern; selbstbestimmt mit Problemen umgehen; Produkte und Anwendungen installieren; den Bildschirmhintergrund ändern; Sicherheitseinstellungen anpassen; Daten schützen; sichere Passwörter verwenden; Cookie-Einstellungen vornehmen; Online-Spiele spielen.
Kognitive Dimension: Wissen über Medien und Technologien; sich im digitalen Raum orientieren können; Suchmaschinen nutzen; in Ratgeberliteratur nachschlagen, um ein Problem mit einem digitalen Gerät zu beheben.
Affektive Dimension: Eine Haltung zu digitalen Technologien entwickeln; Neugier; Drang dazu, Wissen zu erwerben; Bereitschaft, sich mit neuen Technologien auseinanderzusetzen.
Kreative Dimension: Medien und Technologien nach individuellen Wünschen gestalten können; kreativ mit digitalen Technologien umgehen; Fotobücher gestalten; Musiklisten erstellen; eine Homepage erstellen; Probleme kreativ lösen, indem man ausprobiert.
Soziale Dimension: sich Unterstützung holen; Medien passiv nutzen (d.h. andere nutzen digitale Technologien für einen, ohne dass man selbst am Gerät aktiv wird).
Kritisch-reflexive Dimension: mit Technik und Medien kritisch umgehen; Chancen, Risiken und Folgen des Einsatzes moderner Medien und Technologien abschätzen und das eigene Verhalten daran anpassen können; über das Internet als soziale Teilhabemöglichkeit reflektieren; über Cyberkriminalität reflektieren; über Datenschutz und Datensicherheit reflektieren; sich bewusst entscheiden, digitale Technologien (nicht) zu nutzen; Online-Betrug und Cyber-Kriminalität erkennen; eigene Kompetenzen weiterentwickeln.
Zentrale theoretische Annahmen über Kompetenz
Digitale Kompetenzen sind eine von insgesamt acht Schlüsselkompetenzen. In der Gerontologie existieren mehrere Kompetenzbegriffe. Sie alle definieren Kompetenz vornehmlich als Fähigkeit zur individuellen Problemlösung, die auf Motivation und sozialen Fähigkeiten fußt. In anderen wissenschaftlichen Disziplinen wird digitale Kompetenz ebenfalls an der Fähigkeit zur Problemlösung festgemacht, allerdings auf Technikkompetenz beschränkt. Das heißt, sie umfasst lediglich die Nutzung digitaler Geräte. Das Modell der Autor*innen erfasst Kompetenz in fünf Praxisbereichen. Beziehen Ältere mehr in ihren Alltag ein, deutet dies auf eine höheres Verständnis digitaler Technologien hin. Digitale Kompetenz wird in dem Modell als Spektrum verstanden, mit dem eine Einteilung Älterer in kompetent versus nicht kompetent überwunden werden soll. Wichtig ist zudem, dass Kompetenzentwicklung sowohl von der sozialen Umwelt als auch von der Lebensbiografie sowie individuellen Interessen abhängig ist und sich über das ganze Leben erstreckt. Ziel jeglicher Kompetenzförderung sollte die individuelle Handlungsfähigkeit sein.
Perspektive der Kompetenzträger*innen auf Kompetenz einbezogen?
keine Angabe
Lebenskontexte der Kompetenzträger*innen einbezogen?
In der Studie wird der sozialen Umwelt der Kompetenzträger*innen sowie individuellen Merkmalen eine große Bedeutung für die Nutzung und das Kompetenzerleben zugeschrieben. Dies wird beispielsweise an der Frage sichtbar, inwiefern der Nichtnutzung digitaler Medien eine informierte Entscheidung zu Grunde liegt. Hier lassen sich vier Tendenzen beobachten. Diejenigen Älteren, die Kontakt zu eigenen Kindern haben, gehörten eher zu der Gruppe der Nichtnutzer*innen, weil sie die Geräte ihrer Angehörigen passiv nutzen und sich deshalb selbst keine anschaffen. Ältere, die einen niedrigen Bildungsabschluss oder schlechte Lernerfahrungen gemacht haben, nutzen digitale Technologien nicht, weil sie ihnen einen Mehrwert im Alltag absprechen. Einkommensschwache Personen nutzen keine digitalen Geräte, weil sie sich diese finanziell nicht leisten können. Unter den Nichtnutzer*innen befinden sich vor allem hochaltrige Frauen mit niedrigem sozio-ökonomischen Status und schlechtem Gesundheitszustand. Hier wird von einer "kumulierten Benachteiligung" gesprochen. Mit Blick auf Kompetenz lässt sich sagen: Man kann nicht pauschal von einem Kompetenzverlust im Alter ausgehen. Vielmehr verändern sich mit dem Älterwerden Kompetenzen, die das Individuum durch Lernen und begünstigende Umwelteinflüsse ausgleichen kann. Für die Entwicklung von Kompetenz haben zusammenfassend sowohl die soziale Umwelt als auch individuelle Faktoren und das Lernsetting eine Bedeutung. Daneben sind auch gesellschaftliche Altersbilder relevant.
Herausforderungen der Erfassung von Kompetenz
Bestehende Kompetenzmodelle gehen meistens an der Lebensrealität älterer Menschen vorbei, weil sie die nachberufliche Lebensphase ausklammern. Zudem teilen sie Menschen in kompetente und nicht komptente Nutzer*innen sowie in Nutzende und Nichtnutzende ein. Dadurch wird die Vielfalt digitaler Nutzungspraktiken und Kompetenzausprägungen bei älteren Menschen übersehen. Nichtnutzung mit Kompetenzmangel gleichzusetzen erscheint ebenfalls problematisch, da dies ausschließt, dass es auch informierte, bewusste Entscheidungen zur Nichtnutzung geben kann.
Zentrale empirische Befunde über Kompetenz
Die Befragten denken, dass ihre Bedienkompetenz beim Smartphone am besten ist. Mehr als ein Viertel der Befragten nutzt digitale Technologien nicht selbstständig und schätzt die eigenen digitalen Kompetenzen als gering ausgeprägt oder gar nicht vorhanden ein. Wie Bedienkompetenz wahrgenommen wird, ist Ausdruck sozialer Ungleichheit: Sind die Befragten sozio-ökonomisch (also mit Blick auf Bildung und Einkommen) besser aufgestellt, jünger, haben wenig gesundheitliche Einschränkungen und ordnen sich dem männlichen Geschlecht zu, schätzen sie ihr Bedienwissen höher ein. Ist eine Person hochaltrig und verfügt über einen niedrigen Bildungsabschluss, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass andere Personen die Einstellung von Sicherheitsvorkehrungen für sie übernehmen. Das Bewusstsein für Gefahren im Internet ist umso geringer, wenn die Person einen niedrigen Bildungsabschluss hat. Ähnliches gilt für die Einschätzung kreativer Fähigkeiten: Je höher das sozio-ökonomische Kapital, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Befragten bereits mehrere der abgefragten kreativen Tätigkeiten ausgeübt haben. Je höher der Bildungsabschluss und je niedriger das chronologische Alter, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Befragten eine hohe Selbstwirksamkeit bei der Behebung technischer Probleme empfinden. Zusammenfassend lässt sich sagen: Digitale Praxis im Alter ist komplex und heterogen. Es ist absolut möglich, in manchen Bereichen wenig und in anderen gleichzeitig viel Erfahrung zu haben.
Quellenangabe
Kolland, F., Bohrn, K., Rohner, R., Greber, V., & Gallistl, V. (2022). Bildung und digitale Kompetenzen im Alter. Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK). https://www.digitaleseniorinnen.at/fileadmin/redakteure/Downloads/Studie_Bildung_u_digitale_Kompetenzen_im_Alter.pdf
Sonstige Anmerkungen
In Bezug auf die Technikeinstellung offenbart sich ein Zusammenhang zwischen sozio-ökonomischem Hintergrund und der Bewertung, ob das Internet die Möglichkeit zur sozialen Teilhabe erweitert: Hochaltrige, Ältere mit niedrigem Einkommen und Bildungsabschluss, ältere Frauen, Ältere mit gesundheitlichen Einschränkungen und Ältere, die nur selten im Kontakt mit ihren Angehörigen stehen, sind eher der Ansicht, dass das Internet keine Hilfe ist, um gesellschaftlich zu partizipieren.