Förderung von Technik- und Medienkompetenz älterer Menschen aus der Perspektive der Geragogik – Expertise zum Achten Altersbericht der Bundesregierung
Kurzbeschreibung
Älteren Menschen wird häufig attestiert, dass sie digitale Technologien im Vergleich zu Jüngeren seltener und weniger kompetent nutzen. Vor diesem Hintergrund geht die vorliegende Expertise der Frage nach: Wie kann Technikbildung im höheren Alter gelingen? Dabei stehen auch geragogische Prinzipien im Fokus, um Techniklernen altersgerecht zu gestalten. Der Beitrag gliedert sich in drei Teile: Zuerst steht die geragogische Perspektive auf Technik- und Medienkompetenz im Mittelpunkt. Anschließend geben die Autorinnen einen Überblick über verschiedene Bildungsangebote samt Good Practice Beispiele – von formalen (z.B. die Universität) über nicht formelle (z.B. kommunale Technikberatungsstellen) bis hin zu informellen Angeboten (wie z.B. Computertreffs). Daraus werden abschließend Empfehlungen für Forschung und Praxis abgeleitet und günstige Rahmenbedingungen skizziert, um die gesellschaftliche Inklusion Älterer in digitalen Gesellschaften zu unterstützen. Zukünftig sollte etwa ein Weiterbildungssystem für Multiplikator*innen aufgebaut werden, das sich an aktuellen Befunden zur Technik- und Medienkompetenzförderung orientiert. Dieser Datenbankeintrag fokussiert sich hauptsächlich auf das erste Kapitel der Expertise, da dort die geragogische Sichtweise auf Technik- und Medienkompetenz erläutert wird.
Annahmen über die Folgen der Digitalisierung
Die Digitalisierung wirkt sich auf Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft aus. Unser aller Leben ändert sich durch sie – zum Beispiel mit Blick darauf, welche Handlungsmöglichkeiten wir haben, wie wir miteinander kommunizieren oder das Zusammenleben gestalten. Damit gehen auch ständig neue Herausforderungen einher, die die Menschen bewältigen müssen. Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Ältere ein großes Interesse daran zeigen, digitale Technologien zu nutzen – sei es zu Informations- oder Unterhaltungszwecken, für sozialen Austausch oder gesellschaftliche Teilhabe. Denn digitale Teilhabe ist heute eine Voraussetzung für soziale Teilhabe. Erwerben Ältere dazu nötige Kompetenzen nicht, laufen sie Gefahr, von der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden. Es ist also wichtig, Lernprozesse zum Techniklernen zu initiieren und Unterstützungsstrukturen aufzubauen.
Kompetenzanforderungen
In der Expertise werden zahlreiche Kompetenzanforderungen an Ältere formuliert. Eine ausführliche Liste findet sich unter der Überschrift „Kompetenzdimensionen“. Zum einen sollten Ältere Geräte bedienen können, zum anderen benötigen sie Wissen – zum Beispiel darüber, wie Mediensysteme funktionieren. Auch sollen sie Medien nutzen können, um sich mit anderen auszutauschen. Zudem geht es darum, digitale Technologien zu reflektieren – sowohl für sich als auch mit Blick auf die Gesellschaft. Das heißt etwa zu überlegen, wie sich Technik sinnvoll in ihr Leben integrieren lässt, aber auch Folgen der Techniknutzung abzuschätzen und schlussendlich informierte Entscheidungen zu treffen.
Kompetenzbegriffe (nach dem Papier)
Technik- und Medienkompetenz | Medienkompetenz
Unterdimensionen (nach dem Papier)
Medienkunde,
Mediennutzung,
Mediengestaltung,
Medienkritik
Kompetenzdimensionen (nach dem Rahmenkonzept von Digitales Deutschland)
Instrumentell-qualifikatorische Dimension: Technik und Medien bedienen können; Medien konsumierend und interaktiv nutzen können.
Kognitive Dimension: Wissen, wofür und wie Technik und Medien im eigenen Lebenskontext und im Alltag eingesetzt werden können; über Technik und Medien informiert sein.
Kreative Dimension: Kreativ mit Medien und Technik umgehen; Medien für Gestaltungszwecke nutzen; die Entwicklung von Technik mitgestalten; Technik einsetzen, um gesellschaftliche Räume zu gestalten.
Soziale Dimension: Wissen, wie sich Medien für die Beziehungsgestaltung, die Kommunikation und Kontaktaufnahme mit Institutionen, Organisationen und zur Teilhabe an der Gesellschaft einsetzen lassen; Interaktion; digitale Medien in Lerngruppen einsetzen; mit anderen Neues entdecken und gestalten; im Sozialraum mittels Technik handeln; Folgen der Nutzung von Technik öffentlich ins Gespräch bringen.
Kritisch-reflexive Dimension: Kritisch urteilen; Möglichkeiten, Folgen, Risiken und potenziellen Gefährdungen durch die Technik/Medien sowie bei deren Anwendung erkennen; sich reflektierend mit Technik und Medien auseinandersetzen und diese im Hinblick auf ihre gesellschaftlichen Implikationen prüfen; mit dem Wissen über Technik reflektiert und kritisch umgehen; in der Auseinandersetzung und im Austausch mit anderen eine bewusste, selbstbestimmte Entscheidung über die Folgen der Nutzung und den Umgang mit einem Gerät, einer Technologie bzw. einem Medium treffen; sich informiert für oder gegen die Nutzung von Technik entscheiden; die eigene Haltung im aktuellen und ggf. im sich verändernden Lebenskontext und in Bezug auf die Beziehungsgestaltung überdenken (z. B. sich für oder gegen eine Anwendung in der eigenen Wohnung entscheiden und damit Sicherheit gegenüber Kontrolle bzw. Verlust der Privatsphäre abwägen oder sich für oder gegen Ortungsdienste, Datenspeicherung etc. entscheiden und diese Haltung in veränderten Lebenslagen immer wieder neu überdenken); Technik und Medien im eigenen Lebenskontext entsprechend der persönlichen Anliegen und Bedarfe einsetzen.
Zentrale theoretische Annahmen über Kompetenz
In Dieter Baackes mehrperspektivischem und ganzheitlichen Konzept wird Medienkompetenz als Fähigkeit verstanden, “Medien und durch Medien vermittelte Inhalte den eigenen Zielen und Bedürfnissen entsprechend effektiv nutzen zu können” (S. 6). Medienkompetenz bezieht sich jedoch lediglich auf Medien. Für die Expertise spielt aber auch Technik eine Rolle. Daher wird hier der Begriff Technik- und Medienkompetenz gesetzt. Er beschreibt alle Kompetenzen, derer es bedarf, um aktuelle Technik zu nutzen. Sie beinhaltet sowohl, sich bewusst zu Technik zu positionieren, diese als gestalterisches Element einzusetzen und sie reflektiert und kritisch zu verwenden (S. 6). Auch wenn es viele Begriffe gibt – z.B. Onlinekompetenz, Internetkompetenz, digitale Kompetenz, digitale Souveränität, Digital Literacy, Information Literacy, Computer Literacy, Multimedia Literacy, IT Literacy, Mediacy oder E-Literacy – sie alle bilden ein ähnliches Verständnis ab. Die meisten Begriffe beziehen sich auf einen Lernprozess, in dem Menschen sich Fertigkeiten und Wissen für die Nutzung von Technik aneignen. In diesem Lernprozess sollen Kompetenzträger*innen sowohl ihr Verhalten ändern als auch ein eigenes Urteilsvermögen entwickeln. Um Technikbildung im Alter zu verbessern, ergänzen die Autorinnen noch eine geragogische Perspektive. Dazu gehört, über Technik und Medien informiert zu sein, Chancen und Risiken einer Nutzung abzuwägen sowie Technik bzw. Medien bezogen auf Ziele und Bedarfe nutzen und gestalten zu können. Techniklernen im höheren Lebensalter bedeutet Kompetenzerhalt und Kompetenzentfaltung in verschiedenen Lebenslagen und Lebensphasen des Alters.
Perspektive der Kompetenzträger*innen auf Kompetenz einbezogen?
keine Angabe
Lebenskontexte der Kompetenzträger*innen einbezogen?
Zahlreiche Lebenskontexte beeinflussen, inwiefern sich ältere Menschen Technik- und Medienkompetenz aneignen. Diese müssen im Rahmen von Bildungsangeboten berücksichtigt werden. Welche Besonderheiten es beim Lernen im Alter gibt, wird in der Expertise ausführlich dargestellt. Zunächst zu den Merkmalen der Individuen: Hier spielen zahlreiche Faktoren eine Rolle, zum einen sozio-ökonomische Hintergründe (z.B. Bildung und Einkommen), aber auch Leistungspotenziale und Lernbiografien (verbunden mit Motivation und Vorwissen im Umgang mit Medien), Interessen, Einstellungen zum Kompetenzerwerb, die Einschätzung eigener Kompetenzen sowie ihre Selbstwirksamkeit. Die Selbsteinschätzung der Kompetenzen ist für Technikbildung im höheren Lebensalter besonders relevant. Um mögliche Barrieren zu vermindern, müssen geragogische Ansätze berücksichtigt werden. Es gilt, den Mehrwert einer Technologie für den individuellen Alltag aufzuzeigen und das Selbstvertrauen Älterer im Rahmen von Bildungsangeboten zu stärken. Denn erst wenn Menschen einen Sinn für sich selbst in der Nutzung von Technik sehen, werden sie diese auch nachhaltig in ihren Alltag einbinden. Neben persönlichen Eigenschaften ist für den Kompetenzerwerb auch das soziale Umfeld relevant, zum Beispiel die Familie, Freund*innen und Nachbar*innen. So ist es etwa wichtig, dass die Zusammenarbeit mit Lernpartner*innen als positiv erlebt wird. Hinzu kommen sozialräumliche (z.B. kommunale Technikberatungsstellen) und gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Je nach individuellem Kontext bringen verschiedene Lernangebote (wie formale, non-formale und informelle) mehr oder weniger Vorteile.
Herausforderungen der Erfassung von Kompetenz
Es mangelt sowohl an Langzeitstudien als auch an konkreten Ansätzen, wie Technik- und Medienkompetenz im Alter operationalisiert werden kann. Aus geragogischer Perspektive sollte für die Operationalisierung zunächst eine Zielperspektive entwickelt werden. Dabei sollte sich das Erhebungsinstrument auf eine ausgewählte Technologie beziehen. Die Erfassung von Technikkompetenz im Alter sollte sich an Dieter Baackes Dimensionen orientieren und einen ganzheitlichen, ressourcenorientierten Blick einnehmen. Dazu gehört, Anliegen Älterer bei der Mediennutzung einzubeziehen und Messkriterien mit der Lebensbiographie zu verbinden. Partizipative Ansätze sind zu bevorzugen, weil dadurch die potenzielle Kluft zwischen normativen Zuschreibungen im Kompetenzbegriff und der Selbsteinschätzung individueller Kompetenzen sichtbar wird.
Quellenangabe
Schramek, R., & Stiel, J. (2020). Förderung von Technik- und Medienkompetenz älterer Menschen aus der Perspektive der Geragogik. Expertise zum Achten Altersbericht der Bundesregierung. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. https://www.achter-altersbericht.de/fileadmin/altersbericht/pdf/Expertisen/Expertise-Schramek-und-Stiel.pdf