Geragogik – Bildung und Lernen im Prozess des Alterns
Kurzbeschreibung
Die Geragogik beschäftigt sich mit Voraussetzungen und Ermöglichungsbedingungen von Bildung im höheren Lebensalter. Das Lehrbuch gibt einen Überblick über die theoretischen Grundlagen der noch recht jungen Wissenschaftsdisziplin, skizziert aktuelle Forschungbefunde, Konzepte, Methodik und didaktische Prinzipien in der praktischen Bildungsarbeit mit Älteren und beleuchtet verschiedene geragogische Handlungsfelder (u.a. Bildungsarbeit). Dieser Eintrag bezieht sich vor allem auf die Kapitel, in denen es vorrangig um Technikkompetenz und die Rolle digitaler Medien für ältere Menschen geht (v.a. Kap. 8.7).
Annahmen über die Folgen der Digitalisierung
Im Zuge der Digitalisierung prägen Informations- und Kommunikationstechnologien zunehmend individuelle und gesellschaftliche Meinungen. Sie eröffnen neue Möglichkeiten der Kommunikation (auch mit einer neuen Reichweite). Zudem bieten sie einen riesigen Wissensschatz. Auch das Leben älterer Menschen ist zunehmend von digitalen Medien durchdrungen. Ältere können digitale Technik für verschiedenste Zwecke einsetzen - von Information und Unterhaltung bis zu Orientierung und Unterstützung. Mit dem Internet können sie etwa ihren Alltag gestalten (zum Beispiel für Behördengänge). Zudem kompensieren digitale Technologien manche Beeinträchtigungen. Texterkennungsprogramme sind etwa bei beeinträchtigter Sehfähigkeit eine Hilfe. Die Digitalisierung führt gleichzeitig dazu, dass man sich lebenslang stetig neue Technikkompetenzen aneignen muss - und das immer schneller, da sich der Takt, in dem Veränderungen geschehen, beschleunigt. Seit 2020 richtet sich daher das Augenmerk geragogischer Forschung und Praxis auf den flächendeckenden, systematischen Ausbau von Weiterbildungsangeboten zur Technikbildung. Der Schulterschluss von Bildung und Digitalisierung hat der Geragogik ein weiteres Forschungs- und Handlungsfeld eröffnet. So wird derzeit zu folgenden Fragen geforscht: Inwiefern können digitale Technologien bestimmte Zielgruppen innerhalb der Gruppe älterer Menschen unterstützen? Wie können Ältere digital souverän werden? Welche ethischen Aspekte sind zu berücksichtigen? Zudem werden derzeit niedrigschwellige Formate, v.a. für das Vierte und Fünfte Alter, entwickelt und erprobt, darunter Angebote mit assistiven Techniken und sozialen Robotern. Viele Lernformate zur Kompetenzentwicklung haben sich im Zuge des technischen Wandels aber auch schon entwickelt.
Kompetenzanforderungen
Im Alter stellen sich verschiedene Kompetenzanforderungen, darunter mit digitalen Informationen umzugehen und zu wissen, wie sich digitale Medien und Technologien sinnvoll in den eigenen Alltag integrieren lassen - sei es zu Kommunikationszwecken, zur Beziehungspflege, zur Organisationskommunikation oder zur sozialen Teilhabe. Darüber hinaus müssen Menschen eine Urteilfähigkeit entwickeln, um die Folgen der Digitalisierung für das eigene Leben und Gesellschaft einschätzen zu können, sich kritisch zu positionieren und eine informierte Entscheidung darüber zu treffen, ob sie bestimmte Technologien nutzen oder nicht. Zudem müssen sie mit Hilfe digitaler Medien und Technologien organisationale und gesellschaftliche Kontexte aktiv mitgestalten können und sind so in der digitalen Welt präsent.
Kompetenzbegriffe (nach dem Papier)
Technikkompetenz | Medienkompetenz
Unterdimensionen (nach dem Papier)
Kognitive Dimension,
Handlungsdimension,
Gestaltungsdimension,
Kritische Dimension
Kompetenzdimensionen (nach dem Rahmenkonzept von Digitales Deutschland)
Instrumentell-qualifikatorische Dimension: Neue Technologien und digitale Medien entsprechend ihrer Funktionen aktiv und passiv im Alltag gemäß den persönlichen Anliegen nutzen können; mit digitalen Technologien und Medien etwas gestalten.
Kognitive Dimension: Wissen über neue Technologien und digitale Medien; Informationen bedeutungsangemessen auswählen; Informationen einordnen und im Hinblick auf Relevanz und Wahrheitsgehalt bewerten.
Soziale Dimension: Technik zur Kommunikations- und Beziehungsgestaltung nutzen; in der digitalen Welt als Akteur präsent sein.
Kritisch-reflexive Dimension: ethische und wertbezogene Auseinandersetzung mit Technik; das Medienhandeln reflektieren; Technikfolgen einschätzen können; Risiken von Automatisierung erkennen und hinterfragen können, insbesondere in Bezug auf Themen wie Diskriminierung, Transparenz und Autonomie; sich kritisch positionieren; eine informierte Entscheidung darüber treffen, ob man bestimmte Technologien nutzt oder nicht.
Zentrale theoretische Annahmen über Kompetenz
Medienkompetenz ermöglichet es älteren Menschen, das eigene Leben mit Hilfe digitaler Technologien aktiv zu gestalten und/oder Technik zur eigenen Entlastung einzusetzen. Mit Blick auf (digitale) Medien ist in vorliegendem Buch vor allem von Technikkompetenz die Rede. Sie basiert auf dem Konzept zu Medienkompetenz von Dieter Baacke und erweitert dieses um erforderliche Technikkompetenzen. Technikkompetenz wird wie Schreiben und Lesen als eine Kulturtechnik aufgefasst. In der Altersbildung generell spielt vor allem das Kompetenzmodell des Alterns eine zentrale Rolle. Dieses wird am Ende des Eintrags näher erläutert.
Perspektive der Kompetenzträger*innen auf Kompetenz einbezogen?
Ältere können nicht zum Lernen gezwungen werden, um gewissen Anforderungsprofilen der sich wandelnden Gesellschaft zu entsprechen. Entscheiden sich Ältere bewusst gegen Lernangebote oder gegen das Lernen und den Kompetenzerwerb, ist das ihr gutes Recht, das berücksichtigt werden sollte.
Lebenskontexte der Kompetenzträger*innen einbezogen?
Sowohl zwischen Älteren und Jüngeren als auch innerhalb der Gruppe älterer Menschen besteht eine digitale Kluft. Diese hängt oftmals mit Merkmalen zusammen wie Geschlecht, Bildung, Einkommen, Haushaltsgröße und der Region. Wenn es um die Aneignung von Technikkompetenz geht, ist Interesse an Technik und Bildung förderlich. Die Motivation, sich neue Kompetenzen anzueignen, ist grundsätzlich am höchsten, wenn die Lernumgebung ältere Menschen in soziale Beziehungen einbindet, der Lernprozess gewisse Bedürfnisse wie Autonomie, Kompetenzentwicklung und Zugehörigkeit anspricht, das Lernangebot die persönlichen Interessen berücksichtigt, die Person überzeugt, dass die Lernanforderung sinnvoll ist, wenn vorherige Lernerfahrungen berücksichtigt werden und die Überzeugung von der eigenen Selbstwirksamkeit bei den Teilnehmenden gestärkt wird. Hingegen enstehen Lernwiderstände, wenn neues Wissen die biografisch erworbenen Kenntnisse grundsätzlich infragstellt. Um ältere Menschen zur Kompetenzentwicklung zu motivieren, muss ein Gleichgewicht hergestellt werden zwischen dem Schutz des Selbst- und Weltbildes und der Erweiterung eigener Realiätsdeutungen. Insgesamt gibt es nicht das eine erfolgreiche Bildungsangebot. Um den Individuen gerecht zu werden, kann auch eine Kombination von Lernformaten sinnvoll sein.
Herausforderungen der Erfassung von Kompetenz
keine Angabe
Quellenangabe
Bubolz-Lutz, E., Engler, S., Kricheldorff, C., & Schramek, R. (2022). Geragogik. Bildung und Lernen im Prozeß des Alterns. Das Lehrbuch (2. erw., überarb. Aufl.). Kohlhammer.
Sonstige Anmerkungen
Auf das psychologische Modell des erfolgreichen bzw. produktiven Alterns aufbauend spielt das Kompetenzmodell des Alterns eine zentrale Rolle in der Altersbildung. Es beruht auf der Auffassung, dass die Lebenswelt und die Gesellschaft konstanten Veränderungen unterworfen sind, die immer wieder neue Anforderungen an das Individuum stellen. Um diesen zu begegnen, greift das Individuum auf gewisse Ressourcen zurück. Auf dieses Wechselverhältnis zwischen Person und Umwelt hebt das geragogische Kompetenzverständnis ab: Kompetenz ist das relationale Verhältnis zwischen den an eine Person gestellten Anforderungen und den der Person innewohnenden Ressourcen, mit denen es diese Anforderungen bewältigen kann. Ziel ist es, die Ressourcen älterer Menschen für ein sinnerfülltes Leben zu mobilisieren und Rahmenbedingungen für die Kompetenzentwicklung bereitzustellen. Dieser Ansatz berücksichtigt sowohl die Subjektperspektive, da er individuelle Fähigkeiten, Fertigkeiten und Lebenserfahrungen in den Blick nimmt, als auch eine umweltorientierte Perspektive, die die Ermöglichungs- und Gelingensbedingungen für Kompetenzentwicklung im Alter eruiert. Kompetenz erscheint als Handlungspotential. Ein Individuum braucht Möglichkeiten, um persönliche Potenziale zu entfalten. Wirken über längere Zeit ungünstige Einflussfaktoren und kritische Lebensereignisse auf ein Individuum ein, kann das negative Konsequenzen für das Selbstwertgefühl und die individuelle Performanz haben.