Verhandlungen von Künstlicher Intelligenz und zugehörigen Medienkompetenzen in Online-Kommentaren
Kurzbeschreibung
Wie diskutieren Nutzende in Online-Kommentaren über Künstliche Intelligenz und damit verbundene Kompetenzen? Das ist die zentrale Frage der vorliegenden Studie. Um die Frage zu beantworten, werden Kommentare zu Beiträgen über Künstliche Intelligenz aus den Jahren 2019 bis 2021 analysiert - sowohl auf Nachrichtenportalen als auch Plattformen wie Instagram, YouTube und Facebook. Einen Ausgangspunkt für die Studie bildet der Forschungsbereich zu Algorithm Literacy. Im Ergebnis zeigen sich zwei grundverschiedene Sichtweisen auf Künstliche Intelligenz - eine technikoptimistische und eine dystopische. Diese beiden Narrative prägen die Meinung der Befragten zu Künstlicher Intelligenz und sind ein Bezugspunkt für ihr Wissen. Diejenigen, die sich selbst als kompetent ausgeben, erachten mehrere Kompetenzen in diesem Zusammenhang als relevant, so etwa umfassendes Wissen über solche Technologien, Bewertungs-, Daten - und Informationskompetenz sowie affektiv-soziale Kompetenz.
Annahmen über die Folgen der Digitalisierung
Die Gesellschaft verändert sich durch den rasanten Wandel digitaler Medien und Künstlicher Intelligenz. Das führt zu zahlreichen (beispielsweise ethischen) Herausforderungen.
Kompetenzanforderungen
Die Kommentierenden formulieren zahlreiche Anforderungen. Grundlegend erscheint vor allem Fakten- und Funktionswissen zu Künstlicher Intelligenz. Aber sie erachten es auch als relevant, solche Systeme kritisch-reflexiv bewerten und affektiv einschätzen zu können.
Kompetenzdimensionen
Instrumentell-qualifikatorische Dimension: Künstliche Intelligenz als Werkzeug nutzen; effektiv mit Künstlicher Intelligenz kommunizieren und zusammenarbeiten.
Kognitive Dimension: Algorithmen bewusst wahrnehmen; Wissen über Algorithmen; Wissen über die Rolle, den Aufbau und die Funktionsweise von KI-getriebenen Prozessen in digitalen Medien und Anwendungen.
Affektive Dimension: Technologien Künstlicher Intelligenz emotional bewerten; Grenzen ziehen können, um einer exzessiven Nutzung vorzubeugen.
Kreative Dimension: Medieninhalte im Kontext von Algorithmen kreativ gestalten; kreative Handlungsstrategien zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz in der Alltagswelt; die durch KI-Technologien geprägten Entscheidungen während der Mediennutzung beeinflussen.
Kritisch-reflexive Dimension: Technologien Künstlicher Intelligenz kritisch und sozial bewerten; Algorithmen kritisch bewerten; die durch KI-Technologien geprägten Entscheidungen während der Mediennutzung kritisch bewerten und hinterfragen können, diese ggf. umgehen und mit diesen sozial verantwortlich umgehen; psychosoziale Folgen der Nutzung von KI-Technologien einschätzen; kritisch einschätzen, inwiefern KI-getriebene Chatbot-Apps gesellschaftliche Vorstellungen über erwünschte Emotionsausdrücke wiedergeben; erkennen und kritisch bewerten können, wie KI-Technologien Stimmung steuern können, sowie was zu dem Geschäftsmodell einer App gehört; sich der Effekte und des gesellschaftlichen Einfluss der eigenen Arbeit als KI-Entwickler*in bewusst.
Zentrale theoretische Annahmen über Kompetenz
Bislang ist wenig dazu bekannt, wie sich Menschen Kompetenzen im Umgang mit Künstlicher Intelligenz aneignen. Die Autor*innen verweisen darauf, dass mehrere Definitionen zunächst Wahrnehmung, Wissen (zum Beispiel Bedien- und Faktenwissen) und damit verbunden kritische Bewertung als relevante Bestandteile von KI-Kompetenz erachten. Darüber hinaus sind aber weitere Fähigkeiten wichtig, namentlich affektive Bewertungen und kreative Strategien im Umgang mit Künstlicher Intelligenz. Letztere sind in der Forschung zu KI-bezogener Kompetenz bislang allerdings oft nicht berücksichtigt worden.
Perspektive der Kompetenzträger*innen auf Kompetenz einbezogen?
In den Kommentaren wird sichtbar, welche Fähigkeiten manche Kompetenzträger*innen als besonders relevant ansehen. Ein Beispiel dafür ist etwa Faktenwissen über Künstliche Intelligenz.
Lebenskontexte der Kompetenzträger*innen einbezogen?
Durch den Forschungszugang (Online-Kommetare zu analysieren) kann über die Kommentierenden lediglich folgendes angenommen werden. Der Schreibstil verweist bei mehreren Nachrichtenportalen auf Personen zu Beginn oder in der Mitte des Berufslebens. Es ist davon auszugehen, dass die Verfasser*innen der Kommentare eher der mittleren und oberen Bildungsschicht angehören. Verschiedene Medien haben jedoch auch unterschiedliche Zielgruppen. So kann bei manchen Sendungen davon ausgegangen werden, dass sie eher ein jüngeres Publikum ansprechen, andere hingegen eher Menschen im mittleren oder höheren Alter. In den Ergebnissen zeigen sich stereotype Vorstellungen über bestimmte Gruppen, beispielsweise Frauen oder ältere gegenüber jüngeren Menschen. Frauen und Menschen im höheren Lebensalter wird beispielsweise technisches Wissen über Künstliche Intelligenz abgesprochen.
Herausforderungen der Erfassung von Kompetenz
Inwiefern die Zuschreibungen von Kompetenz (sowohl an sich selbst als auch an andere) mit realen Kompetenzniveaus übereinstimmen, muss in weiteren Studien erforscht werden.
Zentrale empirische Befunde über Kompetenz
Kommentierende, die sich als Expert*innen mit Blick auf Künstliche Intelligenz sehen, machen dies vor allem an ihrem Wissen über den Aufbau und die Funktionsweise von KI-Systemen fest. Auch gehen sie davon aus, dass sie ihre eigene Nutzung kritisch einordnen können. Sie fordern von der Bevölkerung ebenfalls ein gewisses Niveau an Medienkompetenz, etwa Faktenwissen über Künstliche Intelligenz, das Hinterfragen des Zwecks solcher Technologien sowie zugrundeliegender Informationsquellen und einen bedachten Umgang mit persönlichen Daten. Fehlt dieses Faktenwissen, stärkt das aus ihrer Sicht den Glauben an übermenschliche Fähigkeiten von KI-Technologien. Mit Blick auf KI-Anwendungen, die mehr soziale Kontakte versprechen, fordern die Technikoptimist*innen emotional-soziale Fähigkeiten, zum Beispiel bewusst Grenzen ziehen zu können. Auch an Entwickler*innen richten sie Forderungen. Diese sollten sich etwa der Effekte und des Einflusses ihrer Arbeit auf die Gesellschaft stärker bewusst und auch für Stereotype sensibilisiert sein. Zudem sprechen sie mitunter Laien das Recht ab, über Technologien Künstlicher Intelligenz zu urteilen. Technikpessimistische Personen formulieren solche Kompetenzanforderungen an die Gesellschaft eher nicht. Sie machen ihre KI-bezogene Kompetenz vor allem an ihrer Skepsis gegenüber Künstlicher Intelligenz fest.
Quellenangabe
Sūna, S., & Hoffmann, D. (2024). Verhandlungen von Künstlicher Intelligenz und zugehörigen Medienkompetenzen in Online-Kommentaren. Medienpädagogik, 195-220. https://doi.org/10.21240/mpaed/00/2024.04.18.X.
Sonstige Anmerkungen
In der Analyse zeichnen sich zwei Narrative über Künstliche Intelligenz ab. Eines gibt Science-Fiction-Erzählungen wieder während das andere das Science-Fiction-Narrativ ablehnt und selbst eher technikoptimistisch argumentiert. Ersteres zeichnet eine düstere technologische Zukuft. Aus Sicht der Technikoptimist*innen stehen fiktionale Narrative über Künstliche Intelligenz der Aneignung von Wissen im Weg. Technikoptimist*innen sind um Aufklärung über Künstliche Intelligenz bemüht.