Wie ältere Menschen durch KI-gestützte Gesundheitstechnologien lernen – Von süßen Robben und nervösen Sturzsensoren

Kurzbeschreibung

Vor allem in der Pflege wird dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz viel Potenzial zugeschrieben. Doch nur wenig ist über die Einstellungen und Praktiken derjenigen bekannt, die am stärksten davon profitieren sollen – den Pflegebedürftigen. Deshalb liefert die vorliegende Studie Antworten auf die Fragen: Wie lernen ältere Pflegeheimbewohner*innen, mit Künstlicher Intelligenz umzugehen? Und wie schätzen sie ihre Kompetenzen ein? Ziel war es herauszufinden, in welchem Verhältnis die Selbstbeschreibungen zu den Lernpraktiken der Älteren stehen. Die Ergebnisse unterstreichen die Offenheit der Teilnehmenden gegenüber der Nutzung von Künstlicher Intelligenz. Die Älteren sind bemüht, neue Erfahrungen im Umgang mit Künstlicher Intelligenz in ein Verhältnis zu ihrer Vergangenheit zu setzen und zeigen Ansätze von Reflexions- und Gestaltungskompetenz. Das Lernen im Alter ist von biografie- und alltagsorientierten Praktiken charakterisiert und muss relational gedacht werden, also in Beziehung zu Mitmenschen, technologischen Geräten und eigenen Erfahrungen. Die Autor*innen kommen zu dem Schluss, dass die Autonomie Älterer in Bildungs- und Lernpozessen nur gefördert werden kann, wenn Forschung, Bildungspraxis und Technikentwicklung altersgerechte Vermittlungskonzepte, Schulungsangebote und Technologien Künstlicher Intelligenz im Pflegebereich entwickeln.

Annahmen über die Folgen der Digitalisierung

Im Zuge der Digitalisierung werden langfristig verstärkt Systeme Künstlicher Intelligenz für die Pflege entwickelt und zunehmend im Gesundheits- und Pflegebereich eingesetzt werden. Doch die Forschung zu und Entwicklung von solchen Technologien klammert bislang weitestgehend die Perspektiven älterer Menschen aus und zehrt von einer stereotypen Gegenüberstellung „lernwilliger“ und „aktiver“ KI-Technologien versus „inkompetenten“, „uninteressierten“, „passiven“ älteren Nutzenden. Dies kann zur Folge haben, dass lediglich die Lernprozesse von Pflegekräften ins Visier genommen werden, aber nicht diejenigen älterer Pflegepersonen. Deshalb sollten in der Forschung verstärkt praxistheoretische und lebensweltorientierte Konzepte eingesetzt werden, um das Lernen im Alter in KI-basierten Umwelten, vor allem auf informellem und alltagsnahem Wege, besser zu verstehen und stereotypen Altersbildern vorzubeugen.

Kompetenzanforderungen

Ältere sollen selbstbestimmt und aktiv mit den in der Pflege eingesetzten Technologien Künstlicher Intelligenz umgehen.

Kompetenzbegriffe (nach dem Papier)

Kein spezifischer Kompetenzbegriff

Unterdimensionen (nach dem Papier)

keine Angabe

Kompetenzdimensionen (nach dem Rahmenkonzept von Digitales Deutschland)

Instrumentell-qualifikatorische Dimension: Mit KI-basierten Systemen umgehen.

Kognitive Dimension: Die Funktionsweisen von KI-Technologien verstehen.

Affektive Dimension: Widerstand gegenüber neuen Technologien.

Kreative Dimension: KI-Technologien aktiv und spielerisch ausprobieren; testen, wie das Gerät in unterschiedlichen Situationen reagiert.

Soziale Dimension: relationales Lernen; das Pflegepersonal und andere Pflegeheimbewohner*innen in ihrem Umgang mit KI-Technologien beobachten.

Kritisch-reflexive Dimension: Reflexionskompetenz; die Praxis der KI-Implementierung in der Pflege reflektieren; eigenen Sturzerfahrungen reflektieren, um den Nutzen von Sturzsensoren einzuordnen; die Interaktion mit einer Roboterrobbe mit den eigenen biografischen Erfahrungen abgleichen.

Zentrale theoretische Annahmen über Kompetenz

Reflexions- und Gestaltungskompetenz wird in der Geragogik als Teil von Lernprozessen betrachtet. Aus geragogischer Perspektive sollte das Lernen im Alter – und speziell das Erlernen des Umgangs mit Künstlicher Intelligenz – gesondert von anderen Altersgruppen betrachtet werden. Lernen bedeutet hier die Anpassung an veränderte Lebensbedingungen und Umwelten im Laufe des Alterns. Ältere erwerben neue Kompetenzen eher auf informellem Weg und alltagsnah. Im Zuge dieser Lernprozesse und -praktiken sind Formen der Subjektivierung zu beobachten, die nicht nur die selbstbestimmte Anpassung an Veränderungen betreffen, sondern auch Fragen der Selbstpositionierung in der Welt. Stärker als andere Altersgruppen lassen sich Ältere bei der Bewältigung dieser Herausforderungen von gesellschaftlichen Altersbildern leiten.

Perspektive der Kompetenzträger*innen auf Kompetenz einbezogen?

Die Perspektive Älterer auf Kompetenz wurde dahingehend einbezogen, dass sie gefragt wurden, als wie kompetent sie sich erleben. Es zeigt sich, dass Ältere eher Technikentwickler*innen und Pflegekräften als Expert*innen ansehen, während sie ihre eigenen KI-Kompetenzen als niedrig charakterisieren.

Lebenskontexte der Kompetenzträger*innen einbezogen?

Die Autor*innen wählen zwei KI-Technologien aus, um zu analysieren, wie ältere Heimbewohner*innen mit ihnen umgehen. Dabei werden sowohl persönliche Bedingungen wie eigene Erfahrungen, subjektive und gesellschaftliche Altersbilder sowie Hochaltrigkeit als auch das soziale Umfeld im Pflegeheim (etwa Pflegekräfte und Mitbewohner*innen) reflektiert. Darüber hinaus werden gesellschaftliche Rahmenbedingungen erörtert. So wird kritisiert, dass im Gegensatz zu Pflegekräften hochaltrige Heimbewohner*innen keine Schulungen zu Künstlicher Intelligenz erhalten, nicht über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Langzeitpflege mitbestimmen können und die Technikentwicklung ihre Bedürfnisse weitestgehend ignoriert.

Herausforderungen der Erfassung von Kompetenz

Ältere schätzen ihr eigenen Kompetenzen im Umgang mit Medien häufig als niedrig ausgeprägt ein, weil sie von defizitorientierten Altersbildern in der Gesellschaft negativ beeinflusst werden.

Zentrale empirische Befunde über Kompetenz

Die Befragten nehmen die Implementierung von Künstlicher Intelligenz im eigenen Pflegeheim zur Kenntnis und reflektieren diese. Zudem erkennen die Autor*innen bei den älteren Bewohner*innen eine eingeschränkte Gestaltungskompetenz, etwa wenn sie solche Technologien ausprobieren, um herauszufinden, wie sie funktionieren und reagieren. Es lassen sich zwei zentrale Lernpraktiken Älterer ausmachen – eine Biografieorientierte und eine Alltagsorientierte. Erstere bedeutet zum Beispiel, dass die Befragten Erfahrungen im Umgang mit Künstlicher Intelligenz mit zurückliegenden Erfahrungen vergleichen. Alltagsorientierte Lernpraktiken zeigen sich beispielsweise, wenn Bewohner*innen andere dabei beobachten, wie sie mit KI-Technologien umgehen. Bildung und Lernen im Alter erfolgt somit relational, wenn ältere Pflegeheimbewohner*innen sich in ihrem Umgang mit Künstlicher Intelligenz an ihren Mitmenschen orientieren oder auf ihre Erfahrungen zurückgreifen, um die Funktionsweise zu interpretieren oder um eine Beziehung zum Roboter herzustellen. Die Teilnehmenden sehen nicht sich selbst sondern andere (wie Pflegekräfte oder Technikentwickler*innen) als Expert*innen an. Die Autor*innen schlussfolgern aus den Ergebnissen, dass ein aktives Handeln Älterer im Umgang mit Künstlicher Intelligenz nur unter folgenden Bedingungen gelingen kann: Die Technikkompetenzen Älterer müssen im Rahmen von Schulungen gefördert werden. Sie sollten durch partizipative Forschung in eine menschenzentrierte Entwicklung von Technik eingebunden werden. In der Forschung sollte ein geragogisches Konzept von KI-Innovation entwickelt werden, das zur Entwicklung altersgerechter Bildungsangebote beitragen kann. Schließlich sollte die Gerontologie KI-Anwendungen in der Pflege nicht länger als technische Interventionen für passive, ältere Pflegebedürftige betrachten, da sie damit stereotypen Sichtweisen auf Bildungs- und Lernprozesse im Alter Vorschub leistet.

Quellenangabe

Lehner, K., Gallistl, V., Steinlechner, R., Kellerberger, S., Paulinger, G., Kolland, F. (2025). Wie ältere Menschen durch KI-gestützte Gesundheitstechnologien lernen. Von süßen Robben und nervösen Sturzsensoren. Zeitschrift für Gerontologie+Geriatrie, 58(3), 186–191. https://doi.org/10.1007/s00391-025-02425-5

Sonstige Anmerkungen

Subjektivierungspraktiken, die die Älteren dazu veranlassen, ihre eigenen KI-Kompetenzen als gering einzuschätzen, werden durch eine Technikentwicklung verstärkt, die an den Bedürfnissen Älterer vorbeigeht. Die diskutierten KI-Anwendungen sind so designt, dass die Teilnehmenden weder die Bedienknöpfe im Roboter finden noch den Sturzsensor navigieren können, weil die Anzeigen auf dem Display nur schwer erkennbar sind. Auch die Entscheidung, ob und wo Robbe und Sturzsensoren in den Räumlichkeiten eingesetzt werden, liegt ausschließlich in den Händen der Pflegekräfte. Zudem fokussieren die Schulungen zur Implementierung von Künstlicher Intelligenz ausschließlich die Pflegekräfte. Autonomieförderung im Alter stößt so in der Praxis an Grenzen.

Zuletzt geändert am 27. Juni 2025.