KI und Emotionen. Ein Henne-Ei-Problem?
Autor: Achim Lauber
In unserem Alltagsverständnis davon, was Kompetenz ausmacht, stehen Wissen und Handeln meist im Vordergrund. So sehr im Vordergrund, dass gern übersehen wird, dass jeder Versuch einer Person vom Wissen ins Handeln zu kommen mindestens eine weitere Dimension des Erlebens anspricht: die emotionalen und affektiven Anteile von Kompetenz, die ausschlaggebend dafür sein können, ob Menschen überhaupt in eine aktive Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt treten wollen und können.
„Angst ist ein schlechter Begleiter“, aber „Glück verleiht Flügel“
Das sind Sprichwörter zum Zusammenhang von Fühlen und Handeln, deren Wahrheiten uns im Alltag plausibel erscheinen. Im Zusammenhang von Emotionen und Kompetenz interessiert erstens die Frage des Ob und Wie der Entwicklung von Kompetenz und wie genau sich das Empfinden von negativen (Angst) oder positiven (Glück) Aspekten darin niederschlägt. Und zweitens die Frage der Motivation, die relevant dafür ist, ob gelernte Kompetenzen im Handeln realisiert werden können. Oder, mit den Worten von Noam Chomsky (1981), ob Kompetenz in Performanz übergehen kann. Im Fachdiskurs um Digital- und Medienkompetenz gewinnen deren emotionale und affektive Dimensionen gerade im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz aktuell an Bedeutung. Eine Reihe von Autor*innen haben sich dafür engagiert, theoretisch und empirisch zu ventilieren, wie die Empfindung von Zufriedenheit, Sicherheit, der Sinnhaftigkeit des eigenen Handelns oder das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, Einfluss auf Digital- und Medienkompetenz haben (vgl. https://digid.jff.de/magazin/emotionen/affektiv-kompetent/).
Emotionen und Affekte
Die Gefühlsebene wird in sozialwissenschaftlichen Arbeiten mit den Begriffen Affekt und Emotion adressiert, die häufig nicht trennscharf verwendet werden. Margreth Lünenborg weist darauf hin, dass Emotionen sozial und kulturell geformt sind sowie situativ und zeitlich begrenzt auftreten. Demgegenüber fasst sie Affekte als lebensbegleitendes „Rohmaterial“ von Emotionen, die als Stimmungen, Atmosphären und Empfindungen auftreten (vgl. Lünenborg 2020, S. 2–4, Cousseran et al. 2022). Beide Empfindungen, Emotionen und Affekte, können einerseits auf der motivationalen Ebene der Ausgangspunkt oder Anlass des Medienhandelns sein und prägen so das genussvolle, kritische oder ängstliche Handeln einer Person. Oder sie sind Teil der Verarbeitung des Medienhandelns und schlagen sich als emotionale Erfahrung in der Ausprägung der Kompetenz einer Person nieder. Insofern sind emotionale Dimensionen im wechselseitigen Verhältnis von Handeln und Kompetenz also mehrfach präsent.
Emotionen sind Ressourcen der Kompetenzentwicklung
Der Zusammenhang von Fühlen und Handeln steht auch im Zentrum der mediengeragogischen Perspektive von Anja Hartung-Griemberg (2022). Sie stellt heraus, dass „Spielen, Schwelgen, Lieben und Scherzen […] wichtige Motive des Medienhandelns“ auch im höheren Lebensalter seien, aber gerade bei dieser Altersgruppe nicht gesehen werden, weil gesellschaftliche Altersbilder eher auf eine gesteigerte Rationalität im Alter rekurrieren. In der Forschung und im Diskurs zu KI-Technologien und den entsprechenden Kompetenzanforderungen kann dies in Engführungen resultieren, ältere Menschen defizitorientiert als passiv, uninteressiert und überfordert zu beschreiben. Demgegenüber sollte das emotionale Empfinden älterer Menschen im Umgang mit Medien als Ressourcen erkannt werden, deren Förderung Entwicklungsprozesse anstoßen kann, die zu mehr Möglichkeiten und Handlungskompetenzen führen. Beispiele dazu sind im Magazin #3 „Emotionen“ von Digitales Deutschland beschrieben (vgl. Thum 2021, https://digid.jff.de/magazin/emotionen/).
Zitationsvorschlag
Lauber, A. (2025). KI und Emotionen. Ein Henne-Ei-Problem? Blog-Beitrag auf der Projektwebsite von Digitales Deutschland, online verfügbar unter https://digid.jff.de/ki-und-emotionen-ein-henne-ei-problem
Literatur
Chomsky, N. (1981). Regeln und Repräsentationen. Frankfurt: Suhrkamp.
Cousseran, L.; Brüggen, N. (2022). Affektiv kompetent. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar: https://digid.jff.de/magazin/emotionen/affektiv-kompetent/
Hartung-Griemberg, A. (2022). Spielen, Schwelgen, Lieben und Scherzen. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar: https://digid.jff.de/magazin/emotionen/digitale-medien-aeltere/.
Hartung-Griemberg, A. (2021). Schöpferisches Medienhandeln und (inter-)subjektive Sinnbildung im höheren Lebensalter. merzWissenschaft 65 (5), S. 100–108.
Lünenborg, M. (2020). Soziale Medien, Emotionen und Affekte. Freie Universität Berlin. https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/27948
Thum, U. (2021). Kreativität – (k)eine Frage des Alters: Kreatives Medienhandeln im höheren Lebensalter. Im Rahmen des Projektes Digitales Deutschland. Online verfügbar: https://digid.jff.de/magazin/kreativitaet/kreativitaet-hoeheres-lebensalter/, zitiert nach Hartung-Griemberg, A.: Schöpferisches Medienhandeln und (inter)subjektive Sinnbildung im höheren Lebensalter. merzWissenschaft 65(5).